“Frau, Leben, Freiheit !” – Führt die iranische Protestbewegung in die politische Blockade oder steht das Land in einem revolutionären Umbruch? - mit Parastou Forouhar und Ali Fathollah-Nejad

“Frau, Leben, Freiheit !” – Führt die iranische Protestbewegung in die politische Blockade oder steht das Land in einem revolutionären Umbruch? - mit Parastou Forouhar und Ali Fathollah-Nejad

46 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Mit der iranischen Künstlerin Parastou Forouhar und dem
deutsch-iranischen Politologen Ali Fathollah-Nejad diskutiere ich
über die iranische Protestbewegung. Seit dem 16. September, als
die staatlichen Sicherheitskräfte die verhaftete Kurdin Mahsa
Amini ermordet haben, lehnen sich im ganzen Land Menschen aus
allen Schichten und Regionen - an vorderster Front Frauen,
Jugendliche und Arbeiter - gegen das Regime auf. Trotz massiver
Repression kommt das Land nicht zur Ruhe. Der Auslöser war die
Verweigerung von Mahsa Amini und anderer Frauen, sich dem
Kopftuchzwang zu unterwerfen, aber sehr rasch eskalierte der
Konflikt zu einer grundsätzlichen Konfrontation mit der religiös
begründeten Herrschaft des Regimes. Die geballte Wut der
Bevölkerung gegen das Regime äusserte sich schon früher in
grösseren Demonstrationen, die aber – im Gegensatz zu heute –
rasch niedergeschlagen wurden. 

Die Konfrontation hat sich zusehends verhärtet. Kaum jemand
glaubt noch an eine Lösung innerhalb des Systems. Diese breite
Desillusionierung führt aber kaum mehr zu Resignation, sondern -
trotz brutaler Repression mit Hunderten Toten und Zehntausenden
Verhafteten - zu einer Aufbruchstimmung mit Hoffnungen auf eine
grundsätzliche Veränderung, auch wenn diese nicht absehbar
ist. 

Besonders unter jüngeren Menschen habe sich – so Parastou
Forouhar – das Wertesystem verändert. Sie sahen sich lange
gezwungen, in der Oeffentlichkeit die restriktiven Regeln des
Staates des zu befolgen und fühlten sich dabei als Mittäter, weil
sie sich nicht genügend gewehrt hätten. Dabei versuchten sie nur,
in einer falschen Situation richtig zu leben, anständig,
lebensbewahrend, um ihre menschliche Würde zu bewahren. Heute
sind vor sie nicht mehr bereit, dieses Doppelleben, diese
Doppelmoral mitzumachen. Sie rebellieren und versuchen, sich
selbst zu sein. 

Die Avantgarde der Bewegung sind die Frauen, die ihre
Selbstbestimmung einfordern und mit dem verkrusteten Regime alter
Männer kollidieren. Diese identifizieren sich nur noch mit der
Vergangenheit und verweigern diese Selbstbestimmung. Dabei fällt
der sexuelle Subtext der Konflikte auf, wenn auffallend
attraktive junge Frauen ermordet werden und massive
Vergewaltigungen zum Repressionsinstrument des Regimes geworden
ist, das der toxischen Männlichkeit sexuell frustrierter
Schlägertrupps freien Lauf lässt. 

Die Positionen verhärten sich zusehends, die eine Seite zeige
sich immer schöner, lebensbejahender, und die andere Seite
benehme sich wie Untote, wie Zombies. „Ihre Zeit ist vorbei, die
sind vorbei, aber sie haben es noch nicht kapiert und zehren von
der Lebensenergie der anderen“. Als Beispiel führt Forouhar einen
Widerstandskämpfer auf, der vor der Vollstreckung seines
Todesurteils als seinen letzten Willen verlangte, dass die
Menschen an seinem Grab Musik spielen und tanzen sollen – beides
verboten - nur tanzen und glücklich sein, keine Korantexte! Die
zentrale Parole der Bewegung: „Frau Leben Freiheit“ markiere eine
absolute Abkehr vom Gottesstaat, lebensbejahend und
säkular.

Die Kluft ist irreversibel geworden, beide Seiten sind auf
Kolisionskurs und das System bietet keinen Ausweg aus der
Blockade. Den Konflikt bezeichnet Ali Fathollah-Nejad als einen
langfristig revolutionären Prozess, der schon heute eine neue
Qualität erreicht, weil er schichtübergreifend alle Regionen und
ethnischen Minderheiten mobilisiere. Wirklich revolutionär würde
er aber nur, wenn er sich – was nicht auszuschliessen sei - zu
einer breiten Massenbewegung entwickle, wenn sich die Streiks
ausdehnen und sich die Risse im Machtapparat vertiefen. Für das
letzte sei die Haltung Europas wichtig, wenn zum Beispiel die EU
die iranischen Revolutionsgarden auf die Terrorliste setzen
würden, um das klare Signal zu setzen, dass das System keine
Zukunft hat. Das iranische Regime habe sich immer nur dann
bewegt, wenn der Druck immens war, von innen und von aussen durch
harte Sanktionen. 

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