“Die verkannte Bedeutung des Dualen Bildungssystems für den wirtschaftlichen Erfolg” – mit Ursula Renold und Rudolf Strahm
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vor 1 Jahr
Die Schweiz nimmt im internationalen Vergleich stets
wirtschaftliche Spitzenplätze ein. Dabei verdankt sie ihre
Innovationsfähigkeit, ihr Wirtschaftswachstum und ihre tiefe
Arbeitslosigkeit vor allem dem dualen Bildungssystem. Warum
verkennen wir dessen Bedeutung? Darüber diskutiere ich mit
Ursula Renold, Professorin für Bildungssysteme an der ETH
Zürich und ehemalige Staatssekretärin für Berufsbildung und
Technologie und Rudolf Strahm, ehemaliger Nationalrat,
Preisüberwacher und langjähriger Lehrbeauftragter für die
Ausbildung von BerufsberaterInnen.
Aus drei Gründen, so Ruedi Strahm sei “die Berufslehre (..) ein
Erfolgsmodell: Erstens ist die Berufslehre eine Art
Armutsverhinderungsvehikel (..) Die Berufsbildungsländer, nicht
nur die Schweiz auch Deutschland, Österreich, Holland und
Dänemark haben eine markant tiefere Jugendarbeitslosigkeit.”
Zweitens sei sie “ein Vehikel für höhere Arbeitsproduktivität
(..) Die Berufsbildungsländer haben bedeutend höhere Löhne”. Und
drittens, “ist die Berufslehre mitverantwortlich für die hohe
Innovation, weil die Berufsbildung wichtig ist, Innovationen
rasch zu verbreiten”. Als Beispiel führt Strahm die Herstellung
von medizinischen Implantaten und Prothesen auf, wo die Schweiz
weltweit führend sei. Der Erfolg beruhe auf der engen
“Zusammenarbeit von Chirurgen und Mechanikern (..) auf
Augenhöhe”. Die Mechaniker seien in den Operationssaal und der
Chirurg in die Werkstatt gekommen und zusammen hätten sie “mit
neuen Formen und neuen Materialien (..) getüftelt”. Ursula Renold
bestätigt diese Zusammenhänge. Ihrer Untersuchungen beweisen,
dass eine hohe Innovationsleistung auf dem “Zusammenspiel” von
Berufspraktikern, den “Tüftlern”, mit theoretischen
Hightechkompetenzen beruhe. Die Firma Logitech habe so weltweit
die ersten Computermäuse entwickelt.
Doch was sind die Hindernisse für die gesellschaftliche
Anerkennung der Berufsbildung? Beide Gesprächspartner
weisen auf den grossen Einfluss der akademisch orientierten
französischen und britischen Bildungsideologie auf die OECD und
damit auf die internationalen Vergleiche “des schulisch cognitive
Wissens” hin. Bis 2001, so Strahm, habe “die OECD die
schweizerische Berufslehre gar nicht anerkannt.” Diese Ideologie
sei in den 70er-Jahren vor allem von Daniel Bells Theorie der
“Knowledge Society” geprägt worden. Die “praktische Intelligenz”,
die “soft skills” gerieten dadurch, so Strahm, ins Hintertreffen:
“Exaktheit, Zuverlässigkeit, Termintreue,
Verantwortungsbewusstsein etc.”. Diese, so Renold “bekommen eine
immer grösser Bedeutung (..), weil wir uns in einer hochgradigen
Veränderung befinden, die von der digitalen Tansformation
herstammt.” Dafür seien “heute die Schule zu langsam und die
Universitäten erst recht.” Der Fachkräftemangel, so Strahm,
äußere sich “heute vor allem im Bereich der Leute mit höherer
Berufsbildung”.
In der Frage, ob fehlende mit dem universitären Bachelor
vergleichbare Titel ein Prestigeproblem für die Berufsbildung
seien, besteht keine Einigkeit: Während Strahm sich klar “aus der
Sicht der Berufsberater” für den “Professional Bachelor”
ausspricht, warnt Renold vor einer Titelinflation. Das Prestige
der Berufsausbildung sei auch durch den europäischen
Qualifikationsrahmen gewährleistet.
Auf die Frage, ob sich das Berufsbildungssystem auf andere
Gesellschaften mit anderen Traditionen übertragen lasse,
antwortet Renold: “Nein, das geht nicht”. Was aber helfe, seien
die Resultate der Erforschung der eigenen Erfahrungen. Wichtig
sei vor allem der politische Willen der Eliten. In China
werde Berufsbildung, so Strahm “einfach diktiert von oben (..):
Jede Firma muss ausbilden”.
Für die weitere Entwicklung der Berufsbildungsländer sind Renold
und Strahm zuversichtlich, in Deutschland jedoch, so Strahm,
erhalte “die Berufslehre nach und nach ein soziales
Stigma”.
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