„Wie erklären sich die Sympathien islamischer Länder für Putins Angriffskrieg?“ – mit Isabelle Werenfels und Reinhard Schulze

„Wie erklären sich die Sympathien islamischer Länder für Putins Angriffskrieg?“ – mit Isabelle Werenfels und Reinhard Schulze

46 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Der russische Angriff auf die Ukraine wird nicht von allen,
sondern nur vom Westen verurteilt. Für unsere Nachbarregion
stellt sich deshalb die Frage: „Wie erklären sich die
Sympathien islamischer Länder für Putins Angriffskrieg?“ –
Darüber diskutiere ich mit der Maghreb-Expertin Isabelle
Werenfels der Stiftung Wissenschaft und Politik (Berlin) und
dem Islamwissenschaftler Reinhard Schulze (Uni Bern).


Isabelle Werenfels musste bei ihrem letzen Besuch in der Region
feststellen, „dass die Sichtweise auf den Krieg sehr anders
gelagert war, als ich mir das vorgestellt hatte, weil russische
Narrative selbst von Intellektuellen übernommen werden“. Dies
sieht Reinhard Schulze in der palästinensischen Öffentlichkeit
darin bestätigt, dass mehrheitlich das alte Bild der
„Sowjetunion, die befreit, übertragen wird auf Russland in einer
anti-amerikanischen Haltung“. Trotzdem muss die pro-russische
Haltung je nach nationalem Kontext differenziert werden: In
Algerien, so Werenfels, sei sie „in der Öffentlichkeit und der
Regierung fast deckungsgleich“, in andern Staaten jedoch, „wo die
Islamisten stärker sind“  seien die Sympathien für Russland
geringer „aufgrund dessen, was in Syrien passiert“. Im Nahen
Osten vertreten, so Schulze, die Regierungen und die grossen
regionalen TV-Kanäle in der Abwehr gegen den Iran antirussische
Positionen, während die Bevölkerung „die russische Position
gleichsetzt mit der Sowjetunion als antiimperialistischer
Befreiungskämpfer (..). Mit einer Wiederbelebung dieser alten
anti-westlichen Bilder versuche Putin in der neuen multipolaren
Welt, „so etwas zu sein, wie ein Anti-Napoleon, der der Welt eine
neue Ordnung bringt“.



Das überzeuge ideologisch zwar nicht und Putin finde persönlich
als „Mann der Geheimdienste“ keine Beliebtheit in der Bevölkerung
. Trotzdem begründen sich die  Sympathien gegenüber Russland
auch darin, dass sich die Regierungen nicht pro-westlich
festlegen wollen, sondern in ihrem zentralen „Interesse der
Herrschaftssi-cherung“ kurzfristig und flexibel ihrem „Deal
Denken“ folgen und „eine grosse Diversifizierung ihrer
Aussenbeziehungen“ anstreben. Zusätzlich schaffe das autoritäre
Herrschaftssystem in Saudi Arabien und in einer ganzen Reihe
anderer Staaten gemeinsame Interessen mit Russland, das „als
Akteur nicht verprellt“ werden soll. Ebenso passe, so Werenfels,
„die zunehmende Militarisierung der nahöstlichen Gesellschaften
sehr viel besser zu einem russischen als zu einem westlichen
Modell“. 



Ein anhaltender Ukraine-Krieg könnte aber, so Schulze, „zu einer
weitgehenden Veränderung der politischen Situation“ führen: „In
der islamisch-arabischen Öffentlichkeit wird immer stärker
wahrgenommen, was der Kern dieses Konfliktes ist“, der „auch im
Nahen Osten existiert, es geht vornehmlich um die Frage der
Souveränität: Wem gehört die Nation? (..) Wer ist der Souverän in
einem Staat? (..) Die Idee, die die Ukraine repräsentiert,
nämlich dass die Bevölkerung selbst der Souverän ihrer eigenen
Staatlichkeit ist (..), diese Grundidee wird sich auch in den
nahöstlichen Ländern verankern und zeige sich bereits im Irak und
aktuell im Iran, zumal die Vergangenheit als Referenzpunkt ihre
Bedeutung verliere. Werenfels ist weniger optimistisch, sie sieht
eher eine wachsende „Depolitisierung“ und „Verkrustung“ vor
allem, wenn der Krieg die wirtschaftliche Krise weiter
verschärft.

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