„Documenta Kassel, Biennale Venedig, Art Basel – Unterwirft sich die Kunst dem politisch-moralischen Zeitgeist?“ - mit Jacqueline Burckhardt und Raphael Gygax

„Documenta Kassel, Biennale Venedig, Art Basel – Unterwirft sich die Kunst dem politisch-moralischen Zeitgeist?“ - mit Jacqueline Burckhardt und Raphael Gygax

47 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Diesen Sommer fanden in Kassel, Venedig und Basel gleichzeitig
drei international führende Kunstereignisse statt. Beim
Besuch fiel mir der fast allgegenwärtige politisch-moralische
Zeitgeist auf (Klima, Nord-Süd, Gender, People of Color,
LGBTQIA+), daraus die Frage der Debatte.

„Also die Kunst unterwirft sich überhaupt nicht“ entgegnet
Jacqueline Burckhardt, die Schweizer Kunsthistorikerin. 
Kurator und Ausstellungsmacher Raphael Gygax pflichtet bei:
„Sobald sich die Kunst unterwirft, wird sie zu etwas anderem, zur
Illustration“. Ist aber die politisch-moralische Aussage in der
Kunst stärker geworden? „Auf alle Fälle“ antwortet Burckhardt,
weil es heute um Themen gehe, „die für die KünstlerInnen virulent
sind, die sie (..) täglich spüren und auf die reagieren sie (..),
es geht um existentielle Anliegen (..) Wir sind heute in einer
Situation, die so dramatisch ist, dass es (in der Kunst) sicher
darum geht, das zu reflektieren“.

„Was aber neu ist“, so Gygax, ist die Globalisierung,
„dass man jetzt in der Documenta gesagt hat, wir übergeben das
Kuratorium an ein Künstlerkollektiv aus Indonesien“. Zur
Globalisierung meint Burckardt  "früher war  die Welt
noch flach, also Amerika-Europa war, 1989 hat sich dann der ganze
Globus erweitert.“ Der Kunstmarkt sei sehr heterogen geworden,
sagt Gygax, es sei „sehr komplex geworden durch die
Gleichzeitigkeit von ganz vielen Dingen, ein bisschen ein
Chaosmoment“. So habe er auch die Documenta erlebt. Gegen
die Kritik an der Unübersichtlichkeit  der Documenta wendet
Burckhardt ein: „Man kann gar nicht abschätzen, wie wichtig es
für die (Künstlerinnen) ist, die teilgenommen haben, wenn man
weiss, unter welchen Umständen sie arbeiten müssen und wie
gefährlich es ist in ihrem politischen Umfeld, Künstler zu sein.
Dann ist es natürlich toll, dass sie sich hier äussern können.
(..) Was der Besucher hier erlebt, ist mir nicht so wichtig, für
mich ist wichtig, was die Künstler davon haben.“


Zum Geld, ist es der Markt, der bestimmt, was erfolgreich
ist, der Markt, der die Qualität eines Kunstwerks bestimmt? Gygax
würde „bei einem Kunstwerk immer unterscheiden zwischen dem
Symbolwert und dem Marktwert. Idealerweise würde man sagen, das
ist genau gleich“. Der Symbolwert bestimme sich auch dadurch, ob
man über das Kunstwerk spricht, ob es „diskursrelevant“ sei und
das beeinflusse dann auch den Marktwert. Wegen der
Unübersichtlichkeit entwickle sich der Kunstmarkt aber
zunehmend zu Bubbles, die den Diskurs erschweren. Dazu tragen
auch die Social Media bei, die mit der Wahl zwischen Zustimmung
oder Ablehnung nur noch polarisieren. Auch darin habe in den
letzten 3-4 Jahren eine Brandbeschleunigung im Kunstgeschehen
stattgefunden.

Leidet die Qualität der Kunst darunter? „Wir sind in einem
Moment, wo sich die Dinge krass ändern“ sagt Burckhardt. Sie
sieht darin aber keinen Qualitätsverlust und verweist auf die
Energie eines Kunstwerkes, die sowohl „für einen speziellen
Moment sehr wichtig“ sein könne oder in ihrer Nachhaltigkeit über
die Zeit hinweg die Qualität bestimme. So sieht auch Gygax
die Qualität von Kunst in ihrer Diskursrelevanz, die
momentan oder auch bleibend sein kann. Das könne aber auch
gut „Hand in Hand mit dem Markt“ erfolgen, „ich habe nichts gegen
den Markt“.

Zeigt sich heute eine Verstärkung des politisch-moralischen
Imperativs in der Kunst? Gygax „ich würde da widersprechen, es
war schon immer so“. Und zu Kassel meint Burckhardt, es
gehe dort nicht um die politische Absicht der Künstlerinnen,
sondern um ihre eigene Betroffenheit. Die Biennale
hingegen sei „ganz anders kuratiert worden“, als „klassische
Ausstellung“ im Gegensatz zur Documenta, „die als
Plattform Experimente zulässt“, so Gygax, „in Kassel wurden
leider durch den Antisemitismus-Skandal „die andern 980
KünstlerInnen tot geschwiegen, (..), über die es sehr viel zu
berichten“ gegeben hätte.

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