Ukrainekrieg: Wie sich die Gesellschaften der früheren „Brudervölker“ entfremdet haben - mit Ina Ruck und Alexander Hug
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Beschreibung
vor 2 Jahren
Mit Ina Ruck, der Leiterin des ARD-Büros in Moskau und
Alexander Hug, dem langjährigen Leiter der OSZE-Mission in der
Ukraine diskutiere ich als Hintergrund des Krieges das
Auseinanderdriften der russischen und ukrainischen Gesellschaft
in den letzten Jahren und dabei den wichtigsten Unterschied in
der Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft.
„Vergleicht uns doch nicht immer mit Russland, wir wollen mit
Polen verglichen werden, wir gehören nach Westen“ so Ukrainische
Gesprächspartner gegenüber Ina Ruck, die bekräftigt, dass die
ukrainische Gesellschaft gar nicht so gespalten sei zwischen dem
vermeintlich Russland-freundlichen Osten und dem Rest des Landes.
Das hatte sie schon 2012 anlässlich der
Fussball-Weltmeisterschaft im ostukrainischen Charkiw erlebt, wo
die Massen mit blau-gelben Fahnen ihren Nationalismus zum
Ausdruck brachten. Alexander Hug bestätigt das mit seiner
Beobachtung, dass er im Osten auch nach fünf Jahren der von
Separatisten kontrollierten Verwaltung keine „sichtbare und
spürbare Spaltung“ der Gesellschaft feststellen konnte. Die
Menschen im Land, unabhängig von ihrer Muttersprache, ob Russisch
oder Ukrainisch fühlen sich als Ukrainer, heute mehr denn je.
Den wichtigsten Unterschied in der gesellschaftlichen Entwicklung
beider Staaten machen die zwei Gesprächspartner darin fest, dass
sich vor allem seit 2014 eine ukrainische Zivilgesellschaft
herausgebildet hat, was sich darin zeigte, dass „sehr schnell im
Herbst (2021) die Organisation der Selbstverteidigung begann. Man
konnte sich einschreiben in eine Art
Bürgerwehr-Selbstverteidigung. (..) Ich war dann sehr überrascht
über die Sicherheit und Bestimmtheit, mit der die Leute es
gemacht haben“, so Ina Ruck. Die Bedeutung der ukrainischen
Zivilgesellschaft unterstreich auch Hug: „Ich habe klar gesehen,
dass obwohl die Vereidigungskapazität der Regierung anfangs sehr
schwach war 2014, die Zivilgesellschaft schon damals sehr stark
war. Die hat sich sofort organisiert“, das habe sich, auch in
anderen gesellschaftlichen Bereichen gezeigt, unter anderem in
der Pandemie, und „zwar so, dass Teile der Zivilgesellschaft
eigentliche Staatsaufgaben übernommen haben“.
Stärkt oder schwächt der Krieg die rechtsstaatliche-demokratische
Entwicklung des Landes? „Das grosse Risiko gerade und die grosse
Unsicherheit“ sei, so Ina Ruck „wie es nach dem Krieg weitergeht.
(..) Es wird sicher ein völlig neues Land sein (..) und die Macht
wird neu verteilt werden“. Die Oligarchen seien die grossen
Verlierer im Moment. Alexander Hug ist heute noch optimistisch:
„Im jetzigen Zeitpunkt wäre die Zivilgesellschaft stark genug, um
eine Machtkonzentration abzufedern (und) mehr Mitsprache
einzufordern in einer neuen Ukraine nach dem Krieg“.
In den 90er Jahren gab es in beiden Gesellschaften einen
demokratischen Hoffnungsmoment, „aber die Russen haben es
vergeigt, die Gesellschaft war nicht stark genug um sich gegen
die immer autoritäreren Gesellschaftstendenzen zu wehren.(..) Man
denkt jedes Jahr, schlimmer wird es nicht, aber es wird immer
schlimmer“, sagt Ina Ruck. Heute sei die Mehrheit der Leute für
den Krieg, es gebe das Gefühl: „Wir sind die Herrscher eines
grossen Reichs und wir wollen dieses Reich zurück“.
Gibt es Hoffnungen auf einen Waffenstillstand? - Ina Ruck: „Ich
sehe auf beiden Seiten das Interesse nicht“, Selenski und Putin
stehen unter Druck, „Putin kann sich einen Waffenstillstand gar
nicht leisten, der Druck von rechts ist gerade sehr gross“.
Damit ist Pessimismus angesagt.
(Diese Debatte wurde kurz vor der russischen Teilmobilmachung
aufgenommen, die deshalb nicht berücksichtigt ist).
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