Forschung mit Biss

Forschung mit Biss

4 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Die Gottesanbeterin zappelt ein wenig in der Hand des
Wissenschaftlers. Als sich das Insekt dem Sensor nähert, beißt es
zur Abwehr auf die beiden Metallplättchen, die den Druck auf
einen Piezokristall übertragen. Der Kristall erzeugt
kraftabhängig eine Spannung, die über einen Verstärker auf ein
Laptop übertragen wird. Auf dem Bildschirm entstehen Kurven, die
teils steil ansteigen und zuckend ein Plateau erreichen, bevor
sie wieder auf den Nullwert absinken. Manchmal sind Auf- und
Abstieg auch flacher – je nachdem wie schnell sich das jeweilige
Insekt der Maximalkraft beim Zubeißen annähert.


Kaum Daten zur Beißkraft


“Wie stark Insekten zubeißen können, dazu liegen kaum Daten vor”,
berichtet Peter Rühr, Doktorand am Institut für
Evolutionsbiologie und Ökologie der Universität Bonn. Mit ihrem
Sensorsystem “forceX” wollen die Wissenschaftler untersuchen, wie
sich Kiefer, Muskulatur und die Kopfform von Insekten evolutiv an
die Herausforderungen ihrer jeweiligen Umgebung angepasst haben.
“Nicht für jedes Insekt ist es vorteilhaft, stark zubeißen zu
können, da hohe Beißkräfte auch mit höheren energetischen Kosten
für das Tier einhergehen”, sagt Rühr. Die Beißkraft kann etwa
davon abhängen, welche Nahrung ein Insekt zu sich nimmt oder ob
es die Kiefer zur Verteidigung braucht.


Das Team um Prof. Dr. Alexander Blanke, der einen Starting Grant
des Europäischen Forschungsrats (ERC) eingeworben hat,
entwickelte bestehende Systeme zur Messung von Beißkräften
weiter. In der Messanordnung der Forscher der Universität Bonn
dient ein Binokular - ähnlich einer starken Lupe - dazu zu
erkennen, ob die Kiefer des zu untersuchenden Insekts an der
richtigen Stelle mit den Metallplättchen des Aufbaus in Berührung
kommen. Das untere Plättchen ist unbeweglich, während das obere
über eine Wippe die Kraft auf den Sensor überträgt.


Flexible Anpassung an die Kiefergröße möglich


“Je nach Größe und Öffnungswinkel der Kiefer verwenden wir
unterschiedlich große Beiß-Plättchen, die sich austauschen
lassen”, erläutert Rühr die Weiterentwicklung. “Damit lässt sich
der Sensor über eine relativ große Spannweite auf die jeweiligen
Erfordernisse der Tiere einstellen.” Das komplette System ist
akkubetrieben und damit mobil für Messungen einsetzbar - auch in
der “freien Wildbahn”.


Für stechende Insekten nutzen die Wissenschaftler eine Halterung
aus Kunststoff. In der Hülse verschwinden die Tiere vollständig,
nur der Kopf mit den Mundwerkzeugen ragt vorne aus einem kleinen
Loch heraus. Rühr: “Damit können wir die Insekten besser
positionieren, ohne sie in der Hand halten zu müssen.” Meist
lassen sich die Tiere nicht lange überreden, bis sie zubeißen.
Sie fühlen sich in der fremden Umgebung unwohl und wehren sich
mit Abwehrbissen. Bleibt dieses instinktive Verhalten aus,
streichen ihnen die Forschenden mit einem zarten Pinsel über den
Kopf – spätestens dann schließen die Insekten ihre Kiefer.


Hohe Genauigkeit der Messung


Für die Veröffentlichung in “Methods in Ecology and Evolution”
haben die Forscher die Genauigkeit des Systems bestimmt: Hierfür
beschwerten sie das bewegliche Metallplättchen mit
unterschiedlichen Gewichten von einem Gramm bis fast einem
Kilogramm. Insgesamt 1.600 Wiederholungen zeigen, dass die
Abweichung zwischen den Messungen maximal 2,2 Prozent beträgt.
“Das ist sehr exakt”, sagt Rühr. Mit dem System lassen sich etwa
auch die Kräfte von Skorpions- oder Krebsscheren messen.


Rühr und Blanke haben das System während ihrer Zeit an der
Universität zu Köln unter anderem mit der dortigen
Feinmechanikwerkstatt gebaut. An der Universität Bonn haben es
beide weiter optimiert und die Genauigkeits-Messungen
durchgeführt. Mit dazu gehört auch die Software “forceR”, mit der
sich die Beißkraftwerte und die Form der Bisskurven detailliert
auswerten und vergleichen lassen. Auf den Markt bringen wollen
die Wissenschaftler das Beißkraftsensorsystem nicht.

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