Folge 1257: NAPOLEON - Kaspar Hauser in Austerlitz
Der erste Eindruck direkt nach dem Kino
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Beschreibung
vor 11 Monaten
Biopics sind ein schwieriges Genre: Allgemeinbildung spoilert dem
Publikum gnadenlos die Handlung. Und dann ist das, was historisch
überliefert ist, in vielen Details gar nicht Kino-tauglich. Also
erlaubt man sich auf der einen Seite künstlerische Freiheiten und
das ist absolut in Ordnung. Auf der anderen Seite ist man so
akkurat bei Requisiten, Uniformen und Namen, wie es nur geht.
Diesen Teil erledigt Ridley Scott perfekt. Jede Szene, vor allem
die Schlachten sind absolutes Deluxe-Material für jede große
Napoleon-Doku bei arte oder der BBC. Alles ist überzeugend bis
ins Detail. Und perfekt inszeniert. Kameraführung, Licht,
Schnitt, das ist ganz großes Handwerk, visuell ein
Meisterwerk.
Trotzdem sind wir wenig euphorisch aus dem Kino gekommen. Das
könnte daran liegen, dass Joaquin Phoenix seinen Napoleon wie
einen Kaspar Hauser anlegt, eine introvertierte Sphinx, die
gerade in der ersten Hälfte oft mit halbgeschlossenen Augen durch
den Film wankt – nur bei sexuellen Gefechten mit Josephine und
auf dem Schlachtfeld wird er wach. Ridley Scotts NAPOLEON
wechselt – oft abrupt – zwischen seinen beiden Hauptsträngen: der
amour fou mit der charismatischen Josephine (herausragend:
Vanessa Kirby) und epischen Schlachtszenen – noch nie ist der Tod
von drei Millionen Männern auf einem Schlachtfeld so gekonnt
dargestellt worden.
Napoleon wird als Charakter im Film nicht fassbar, er bleibt eine
Idee, eine gemeinsame Erinnerung, kein Mensch, den man lieben
oder hassen könnte, mit dem man mitfühlen könnte oder um den man
bangen könnte. Diese Leerstelle ist die schwerste Hypothek des
Film. Dabei liefert der historische Napoleon Stoff für einen
fantastischen Antihelden: ein genialer Emporkömmling,
Massenmörder und politischer Visionär, der unsere Welt verändert
und bis heute geprägt hat. Das alles wird nur angedeutet. Das
Wichtigste: Würde die Figur Napoleon uns im Film berühren, würden
alle anderen Kritikpunkt verblassen: die sprunghafte Dramaturgie,
das mangelnde Interesse an Nebenfiguren, der aufdringliche Score.
Auf eine echte Stärke des Films weist Johanna hin: Napoleon wird
nicht verherrlicht.
Im Podcast direkt nach dem Kino wünschen wir uns, dass Sophia
Coppola die Geschichte aus Josephines Sicht erzählen würde, gerne
wieder mit Vanessa Kirby. Und wir diskutieren, ob NAPOLEON
vielleicht doch das Sequel zu JOKER ist Am Mikrofon: Johanna,
Katharina, Heidi, Peter, Tom und Thomas.
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