Beschreibung

vor 2 Jahren

Copyright: https://shaolin-rainer.deDie Tage reihten sich
aneinander, aufgestanden wurde jeden Morgen um fünf Uhr, zuerst
ging es zur Morgenandacht, die Mönche meditierten, sangen das
O mi to Fo, beteten, gingen in sich, ich war
mehr ein stiller Betrachter, sog die Eindrücke in mich auf. Zu
dieser Tageszeit war es bitterkalt, die Knochen und Gelenke
schmerzten vom Sitzen. Das Meditationskissen war eher ein
Ameisenhaufen, still sitzen war für mich eine Qual.


Danach ging es immer in die Tempelkantine, ein
großer Raum, in dem ein riesiger Topf Reis und ein kleinerer Topf
mit Gemüsen (in Sauce) über dem Feuer hing, wir wärmten uns
zusammen mit den anderen Mönchen an großen Tischen (ähnlich von
Bierbänken), dann gingen wir in unsere (jetzt war es unsere)
Klause, machten die Morgentoilette, tranken Woo-Long-Tee, fingen
an zu reden, mit Computer, Händen und Füßen, aber die
Verständigung klappte gut zwischen uns.


Dann begann das Training, jeden Tag mit festen
Ritualen, immer zuerst die „Aufwärmungen“, nach denen ich schon
hoffnungslos bedient war, aber aufgeben kam nicht in Frage, ich
hatte es bis hierher geschafft, nun wollte ich auch weitermachen,
keinesfalls die Fahne streichen.


Fast alle Übungen fanden in Positionen knapp über der
Erde statt, für ungeübte Betrachter sieht die Sache auch
nicht wirklich anstrengend aus, wer allerdings solche Stellungen
schon einmal gehalten hat der weiß, wie schwierig dies für einen
normalen Mitteleuropäer sein kann.


Aus so einer Position schnellte Shi Yan Zi dann immer wieder
pfeilschnell nach oben, kam in eine Angriffsposition, war in
„Null Komma Nichts“ genau vor meiner Nase, gerade eben war er
noch am Boden, jetzt schwebte er förmlich über der Erde, ich war
tief beeindruckt.


Immer mehr brannten die Beine, besonders die
Oberschenkel, die mein doch beachtliches Gewicht
(damals etwa 90 kg) tragen mussten, die ungewohnten Positionen
haltend, die Bewegungen waren absolut ungewohnt für mich, sahen
(auf den ersten Blick) auch befremdlich aus, ergaben dann im
Bewegungsablauf durchaus Sinn. Aber es ist eben ein Unterschied,
ob ein geübter Kämpfer übt, oder ob ein wohlstandsverwöhnter
Europäer meint, hier den Tempelkämpfer abgeben zu müssen.
Ständige Wiederholungen von nur wenigen, immer gleichen
Übungen, die Muskeln brannten, die Kraft ließ
nach, eine unendlich scheinende Plackerei, so
hatte ich mir das nicht vorgestellt, eher auf die „magische
Pille“ gehofft, eigentlich weiß ich nicht mehr, was ich wirklich
erhofft hatte.


Aber jetzt war ich hier, durchgezogen wird, koste es, was es
wolle. Ständige Verlagerungen des Körpergewichts (knapp oberhalb
der Erde) von einem Bein zum anderen, das Bein mit dem Gewicht
weit abgeknickt, das Gesäß am Boden, das andere Bein im
Halbspagat abgestreckt, so übte ich Stunde auf Stunde.


Immer wieder ordnete der Mönch eine Pause an, er
schmunzelte dabei, sicherlich dachte er sich seinen Teil über den
Zustand der Westler. Aus der Position am Boden wieder
hochzukommen war unglaublich kraftaufwendig, ich hatte auch die
Eleganz eines Elefanten, bei Yan Zi sah das
alles so viel einfacher aus. Aber es ging aufwärts, nach einigen
Tagen hatte ich mich an die Belastungen gewöhnt, die Beine
brannten zwar wie Feuer, aber das fiel mir gar nicht mehr auf.





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