Verzögerung als Chance Mt 25,1-13
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vor 1 Jahr
Verzögerungen können eine nervliche Herausforderung sein. Beim
Bahnfahren, bei Geschäften oder Verabredungen. Vor allem dann,
wenn folgende, wichtigere Anliegen oder Zusagen dadurch gefährdet
werden.
Manchmal sind Verzögerungen aber auch Chance oder Erleichterung.
Ich erwische gerade noch einen verspäteten Anschlusszug. Das
Essen ist noch nicht fertig und der Gast verspätet sich. Ein
Spielende verzögert sich um die Nachspielzeit, in der das
entscheidende Tor fällt.
Nun sind die genannten Beispiele alle nicht letztentscheidend.
Aber was ist, wenn es einmal wirklich um die letzten Dinge, um
die entscheidenden Fragen unseres Lebens geht?
Von einer Verzögerung erzählt das Gleichnis von den fünf klugen
und den fünf törichten Jungfrauen, die bei einer Hochzeit den
Bräutigam erwarten. Als der verspätet eintrifft, gibt es für die
törichten ein böses Erwachen. Sie haben leere Lampen mitgenommen
und kein Öl, während die klugen auch Öl mit sich trugen.
Es geht hier nicht um irgendeine Begegnung. Es geht um die
endzeitliche Begegnung mit Jesus Christus, um den Moment, an dem
es ans Sterben und also um alles geht.
Das Öl in der Lampe, das die einen haben und die anderen nicht,
ist offenbar entscheidend für die Begegnung und Gemeinschaft mit
Gott. Es bedeutet die Freude an Gott, sagt Augustinus.
Ich würde allgemeiner sagen, es ist unsere Erreichbarkeit für
Gott. Es ist das, was bleibt, wenn wir alles lassen müssen. Es
gehört so uns, dass es unvertretbar ist und nicht eben nochmal
mitgeteilt oder organisiert werden kann.
Das Öl bedeutet die Entflammbarkeit für Gott und seine Sache in
der Welt. Für das Licht, das von Gott kommt und in dem ich sehend
und sichtbar werde.
Angenommen, es ginge mit mir zu Ende und meine Begegnung mit
Christus stünde unmittelbar bevor. Angenommen, es ginge heute um
alles. – Bin ich erreichbar für ihn? Oder will ich es wenigstens
sein? Habe ich das Öl in meiner Lebenslampe für den letzten
Schritt in das, was jetzt noch dunkel scheint?
Auch wenn es um die letzten Dinge und um das Ganze unseres Lebens
geht, kann eine Verzögerung ein Leid sein oder ein Segen.
Ein Leid ist sie für die vielen, die Gott darum bitten, er möge
sie doch aus dem Streit oder dem unerträglich scheinenden Schmerz
ihres Lebens zu sich nehmen. Aus diesem Leid der Welt bittet die
Kirche in der Liturgie des Advents flehentlich darum, Gott möge
doch kommen und nicht länger zögern und die Welt vollends erlösen
und zu sich nach Hause an ihr Ziel bringen: „O komm und errette
uns,… säume nicht länger!“ (O Antiphon vom 19. Dezember)
Ein Segen jedoch bedeutet die Verzögerung dieses letzten
Schrittes für die Menschen, deren Leben sich dem Ende neigt und
die sich fragen, worum sie sich eigentlich jahrelang gesorgt und
wovor sie eigentlich Angst hatten, wenn all das nun
gegenstandslos ist. Für die, die mir sagen, sie würden gern
anders gelebt haben und würden auch künftig anders leben, wenn
ihr Ende sich noch einmal verzögerte.
Ein Segen ist die Verzögerung auch für mich. Als ich krank war,
kam der Tod näher in Sichtweite als sonst. Seither lebe ich mit
ihm, und immer wieder kommt es mir vor, als sei ich in der
Nachspielzeit meines Lebens. Es ist eine kostbare Zeit. Eine
Zeit, die ich nicht vertun oder verschlafen will. Eine Zeit, in
der ich noch einmal neu das Öl meiner Erreichbarkeit für Gott
entdecke und einsammle, es läutere und dafür dankbar bin. Weil es
das ist, was bleibt, wenn ich alles lassen muss. Eine Zeit, in
der ich mich – zusammen mit denen, die Gott mir gibt – einlassen
will auf die vielen Begegnungen mit Ihm und vorbereite auf die
eine, bleibende Begegnung mit Ihm.
Heute hatte mein Zug wieder Verspätung. Ich nutze die Zeit und
kaufe mir ein Käsebrot. Und dabei frage ich mich, was es braucht,
dass wir unser Öl wiederfinden – und ob die törichten Jungfrauen
zu ihrem Öl und zu Seinem Licht wohl noch gekommen sind.
Fra' Georg Lengerke
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