Denkend lieben Mt 22,34-40
5 Minuten
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Beschreibung
vor 1 Jahr
Überall große Gefühle. In Filmen und Büchern, in Netzwerken und
in der Werbung, auf Partys und Demonstrationen, in Parteien und
in der Kirche, in Beziehungen oder in der Vorstellung von ihnen.
Unsere Zeit schätzt die Emotion, das Empfinden und die
Empfindsamkeit sehr hoch und lehnt das allzu Rationale, Verkopfte
und Komplizierte ab.
Mit der einseitigen Betonung des Gefühls und der Empfindsamkeit
geht aber auch eine niedrige Schwelle des Empörtseins und
Verletztseins einher. Und die hat Folgen für unsere
Beziehungsfähigkeit.
Jesus wird gefragt, was das Wichtigste im Leben sei. Als Antwort
zitiert er zwei Stellen aus dem Alten Testament: „Du sollst den
Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele
und mit deinem ganzen Denken.“ Und „Du sollst deinen Nächsten
lieben wie dich selbst.“
Allerdings gibt es bei dem Gebot der Gottesliebe eine kleine
Änderung: Im zitierten Buch Deuteronomium wird gesagt, Gott solle
„mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“
geliebt werden. Im Evangelium steht da statt „mit ganzer Kraft
(dynamis)“ „mit deinem ganzen Denken (dianoia)“.
Diese kleine Änderung ist von großer Bedeutung. Offenbar sollen
wir nicht nur herzlich und innerlich, gemütvoll und
leidenschaftlich, sondern auch denkend lieben.
Es hat in der Geschichte der Kirche immer wieder Bewegungen und
theologische Schulen gegeben, in denen das Denken gegen das
Fühlen ausgespielt und ein irrationales und gefühlsorientiertes
Glauben und Lieben propagiert wurde. Die Kirche hat sich dagegen
immer gewehrt. Glaube und Liebe brauchen beides: Herz und
Verstand, Empfindung und Vernunft.
Zur Liebe gehört auch, sich lieben zu lassen und sich ergreifen
zu lassen von einer Dynamik, die unser Verstehen und Begreifen
letztlich übersteigt. Aber dennoch ist es wichtig, dass wir die
Dynamik selbst verstehen und erkennen, wohin sie uns führt. Was
mitreißend ist, ist noch lange nicht gut.
Thomas von Aquin sagt, alle Sünde komme aus der „ungeordneten“
Liebe zu sich selbst. Liebe kann also in der Tat Sünde sein, wenn
sie in die falsche Richtung mitgerissen wird.
Mich hat diese Woche die Frage beschäftigt, was das für mich
heißt: „mit meinem ganzen Denken lieben“.
Gott lieben bedeutet zugleich Jesus Christus lieben, in dem er
sich uns als Mensch offenbart – und dann auch meine Nächsten, die
er nicht ohne mich lieben will. Gott in Jesus „denkend lieben“
heißt für mich:
1. An Jesus denken. Nach ihm fragen: nach seinem Ergehen und
seinen Wegen, nach seinen Absichten und seinem Willen. In den
Erzählungen aus seinem irdischen Leben, aber auch als unsichtbar
Gegenwärtigem in dieser meiner Stunde. In allem ihm denkend
verbunden sein.
2. Von Jesus Christus gut denken. Für ihn auch im Krisen- und
Verdachtsfall die Unschuldsvermutung gelten lassen und zunächst
das Gute annehmen. Seine Aussage im Zweifelsfall zu retten und
vom Besten ausgehen, das er gemeint haben könnte (Ignatius von
Loyola).
3. Bedenken, was Gott (in der Heiligen Schrift, in Jesus, in
seinen Zeugen) gesagt hat und noch sagt. Seine Worte „im Herzen
bewegen“, sie mir einprägen, sie immer tiefer verstehen und in
meinem Leben wirksam werden lassen. Die Engländer haben dafür das
schöne Wort „to ponder“.
4. Mit Christus mitdenken. Sein Denken kennen und verstehen
lernen. Mit seinen Gedankengängen vertraut werden und sie
mitvollziehen – besonders sein Denken vom Menschen.
Wenn wir Gott in Jesus Christus so „denkend lieben“, beginnt eine
Veränderung:
Wir werden souveräner im Umgang mit unseren Gefühlen, die wir
besser verstehen und die weniger Macht über uns haben.
Wir werden mitgenommen in eine Intimität mit Gott und eine
Bewegung in ein erfülltes Leben mit den Anderen, die unser
Verstehen übersteigen.
Und wir beginnen von unseren Nächsten anders zu denken. Auch da,
wo unser Gefühl vielleicht zunächst zurückweicht oder zögert.
Nüchterner und zugleich liebender.
Fra' Georg Lengerke
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