Heimweh nach Himmel Phil 1,20ad-24.27a

Heimweh nach Himmel Phil 1,20ad-24.27a

5 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

In der Nacht auf Sonntag vor zwei Wochen starb Ali. Ali war ein
geistig behinderter Mann von 65 Jahren. Mit 19 war er in das Heim
in Beirut gekommen, in die Obhut von Schwestern, die heute zum
caritativen Rückgrat des Libanon gehören. 46 Jahre hatte er dort
gelebt. Unter Bedingungen, die für uns in Deutschland
unvorstellbar, dort jedoch seine Rettung waren.


Ali hatte sich auf die Woche mit den jungen Leuten aus
Deutschland und dem Libanon gefreut. So sehr, dass er seit dem
Winter mit einer jungen Frau die Monate, dann die Wochen und Tage
gezählt hat, bis wir kamen und es in die Berge ging.


Ali hatte ein schwaches Herz. Am Samstagabend hörte es auf zu
schlagen. Er konnte wiederbelebt werden und kam in die Klinik.
Nachts kam noch sein Bruder zu ihm. Er starb am frühen Morgen.


Der Schmerz war groß. Vor allem bei denen, die ihn schon lange
kannten und die Tage mit ihm gezählt hatten. Und bei denen, die
diese Woche seine Nächsten waren, die Ersthilfe geleistet und bis
ins Krankenhaus um ihn gekämpft haben.


Bei den Freunden aus dem Heim war der Schmerz etwas verborgener.
Wenn sie an Alis Foto mit den Blumen vorbei gingen, merkte man,
dass sie genau wussten, was geschehen war. Aber irgendwie hatte
man den Eindruck, dass ein Abschied wie der von Ali ihnen ganz
vertraut war. Ihnen ist der Tod vertrauter und der Himmel näher.
So, als wäre der Himmel nebenan und der Tod die Tür dahin.


So ähnlich muss es für den hl. Paulus gewesen sein. Das „Sein bei
Christus“ von Angesicht zu Angesicht, ist für ihn so plausibel
und so lockend und beglückend, dass er sagen kann „für mich ist
Christus das Leben und Sterben Gewinn“ (Phil 1,21). Wenn er die
Wahl hätte zwischen „weiterleben“ und „bei Christus sein“, so
fragt er sich, was würde er wählen? Ist er nicht hier schon bei
Christus? Doch. Christus hat ja versprochen, dass er bei den
Seinen sein wird. Und ist die Welt nicht das, was Gott so lieb
hat, dass er seinen Sohn dort hineinsendet, um sie durch ihren
eigenen Hass hindurch zu lieben bis zu ihm hin? Doch.


Aber genau um diesen Weg zur Vollendung geht es. Ich kenne
Liebende, denen es so geht wie Paulus. Sie mussten den liebsten
Menschen gehen lassen und sehnten sich nun ein Leben lang danach,
ihn wiederzusehen – in einem Leben, in dem sie einander nicht
mehr genommen werden konnten.


So geht es Paulus. Er glaubt daran, dass Christus da ist, dass
Christus sein Leben ist und für ihn, in ihm und mit ihm lebt.
Aber zugleich erlebt er noch so vieles, was sein „Bei-Jesus-Sein“
stört, angreift, anficht und schmerzhaft macht.


Das Heimweh des Paulus nach dem Himmel ist keine Weltverachtung.
Es ist ein Gegenstatement gegen jene gottlose Weltverliebtheit,
die mit dem Tod den Himmel in die Ferne verdrängt – oder meint,
sie könnte den Himmel auf die Erde holen. Jeder Versuch, den
„Himmel auf Erden“ zu errichten, endete im Terror und mit einer
wohlorganisierten Hölle für die, die an diesen Himmel nicht
glauben mochten. Und zwar egal von welcher Ideologie dieser
Versuch unternommen wurde.


Am Sonntagabend gab es ein Festessen. Wie am Ende eines jeden
Camps mit den behinderten Freunden, die zu uns kommen. Es gab ein
köstliches Essen. Und vor jedem Gang eine Aufführung. Es wurde
gelacht und gesungen. Und an der Seite stand das Bild von Ali,
die Blumen und die tagsüber gemalten Bilder seiner Freunde.


Ich musste wieder an das Festessen auf dem Zion denken, mit dem
der Prophet Jesaja die Vollendung der Welt und den Himmel
beschreibt. Dort, sagt der Prophet, wird die Hülle weggenommen,
die alle Völker zudeckt, denn der Herr, fährt er fort, „hat den
Tod für immer verschlungen und GOTT, der Herr, wird die Tränen
von jedem Gesicht abwischen und die Schande seines Volkes
entfernt er von der ganzen Erde.“ (Jes 25,8).


Hier ist nicht der Himmel. Der Himmel ist nebenan. Aber hier
fängt er an. Wo wir lieben mit dem, der die Liebe ist, und der
mit Ali die ganze Welt nach Hause führen will.


Fra' Georg Lengerke



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