Mythos wird Faktum (Verklärung des Herrn, Mt 17,1-9)
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vor 1 Jahr
Viele alte Mythen erzählen von Göttern, die sterben und wieder
auferstehen. Zum Beispiel die Geschichten von Balder, Adonis oder
Bacchus. Worin besteht nun der Unterschied zu der Erzählung der
Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, seinem Tod und seiner
Auferstehung?
In einem langen nächtlichen Gespräch mit zwei Freunden (einer
davon J.R.R. Tolkien) fand C.S. Lewis die Antwort: „Nun, die
Geschichte Jesu ist einfach ein wahrer Mythos: ein Mythos, der
auf uns in der gleichen Weise wirkt wie die anderen, doch mit dem
gewaltigen Unterschied, dass er sich tatsächlich ereignet hat.“
(C.S. Lewis an Arthur Greeves, 1931)
Nach der Verklärung Jesu auf dem Berg bestehen die Apostel
darauf, dass sie nur das erzählen, was sie erlebt haben: „Wir
sind nicht klug ausgedachten Geschichten gefolgt, als wir euch
die machtvolle Ankunft unseres Herrn Jesus Christus kundtaten,
sondern wir waren Augenzeugen seiner Macht und Größe“, sagt der
2. Petrusbrief (1,16).
Aber wovon genau sind die Apostel Augenzeugen geworden? Vor einer
Woche habe ich die Trauung eines Brautpaares gefeiert, die sich
lieben lernten, als sie gemeinsam Trauzeugen von Freunden waren:
Er vom Bräutigam, sie von der Braut. In der Ehevorbereitung hat
uns das beschäftigt, was es bedeutet, wenn zwei Liebende
Trauzeugen der Liebe eines anderen sind.
So haben wir miteinander die Texte aus der Heiligen Schrift
gelesen, die von der Liebe Gottes zu seinem Volk in den Bildern
von Braut und Bräutigam sprechen: In Hosea führt Gott sein Volk
in die Wüste, umwirbt es und traut sich ihm an. Bei Jesaja
schmückt sich die Braut für den Bräutigam und freut sich der
Bräutigam über die Braut. Und im Evangelium ist Johannes der
„Freund des Bräutigams“ Jesus (Joh 3,29), also so etwas wie der
Trauzeuge der Welt für die Vereinigung von Gott und Mensch, die
im Leben Jesu offenbar wird.
Zusammen mit dem Brautpaar ist mir klar geworden, dass Liebende
ja immer auch „Trauzeugen“ für die Liebe Gottes zum Menschen
sind. Und zwar nicht nur miteinander für andere, sondern auch
einer für den anderen.
Bei vielen Trauungen kommt es einem so vor, als kämen zwei
Menschen vor Gott, die ihn nun als Dritten hinzu- und um seinen
Segen bitten. Und irgendwie stimmt das ja auch. Aber zuerst ist
es andersherum: Nicht Gott kommt hinzu, sondern der liebende
Mensch ist der Dritte, der hinzutritt zum geliebten Menschen, mit
dem Gott sich schon längst in Liebe verbunden hat – in der
Schöpfung, in der Taufe, im Glauben. Gott hat schon längst
gesagt: „Ich nehme dich an…“. Und wenn Brautleute das einander
sagen, dann stimmen sie ein in die Annahme Gottes, dann lieben
sie mit der Liebe Gottes zusammen und bringen diese als Liebende
zum Vorschein.
Gott hat sich mit meinem Nächsten schon vereinigt. Und zwar
unbedingt und unauflöslich. Auch von dieser Verbindung sagt
Jesus: „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht
trennen.“ (Mt 19,6)
Bei der Verklärung Jesu auf dem Berg wird den drei Jüngern mit
einem Schlag die Gegenwart Gottes und die Einheit von Gott und
Mensch in diesem einen Menschen Jesus auf überwältigende Weise
vor Augen geführt und ins Herz gebrannt.
Jesus Christus ist der vollkommen mit Gott verbundene Mensch – ja
er selbst ist „wahrer Gott und wahrer Mensch“ (Chalzedon 451
n.Chr.). Und in seiner Menschwerdung hat sich Gott mit jedem
Menschen verbunden, sagt das zweite Vatikanische Konzil. Nun kann
der Mensch sich seinerseits mit Gott in Jesus verbinden, in dem
er „auf ihn hört“ (Mt 17,5) und zu ihm gehört und mit ihm liebt.
Auch C.S. Lewis wurde etwas ins Herz gebrannt. Weniger
spektakulär als auf dem Berg der Verklärung, sondern in einem
nächtlichen Gespräch mit Freunden, die ihm weitererzählt haben,
was die Apostel sagten: „Wir waren Augenzeugen … Wir haben die
Stimme gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren.“
(vgl. 2 Petr 1,16.18)
In Jesus ist der Mythos ein Faktum geworden.
Fra' Georg Lengerke
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