Die Ökumene der Erschöpften Mt 9,36-10,8

Die Ökumene der Erschöpften Mt 9,36-10,8

5 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

„Mami, ich bin müde", sagte die dreijährige Tochter von Freunden
neulich, "Ich will ausruhen". Sprach's und wurde von ihrer Mami
auf eine Kuscheldecke in ihrem Zimmer gelegt, wo sie bald
schlummerte.


Das fand ich bemerkenswert. Anderen Kindern fällt es schwer,
zuzugeben, dass sie müde sind. Sie werden erst überdreht, dann
knatschig und schließlich gibt’s Tränen.


Mir sagte jemand, das komme davon, dass Eltern ihre Kinder zur
Strafe ins Bett schicken. Schlafengehen sollen ist dann
Ausschluss vom Leben. Wachbleiben wird zur Überlebensfrage.


Das ist nicht nur bei Kindern so. Vielen Menschen fällt es ein
Leben lang schwer, zuzugeben, dass sie müde und erschöpft sind.
Vor allem dort, wo sie sich über das definieren, was sie tun, wem
sie nützen und was sie bewirken. Dann ist phasenweise Erschöpfung
nicht einfach ein normaler und gesunder Vorgang, sondern ein
Zeichen der Schwäche, des Versagens und des drohenden Entzugs der
Teilhabe am Leben.


Vielleicht hören deshalb viele Christen im Evangelium als erstes
eher, was sie tun sollen, als was sie sich gefallen lassen
dürfen; eher was sie geben sollen, als was sie empfangen dürfen;
eher was sie sagen sollen, als was sie hören dürfen.


Bevor ich mich also als erstes gleich neben die Apostel stelle,
die Ärmel hochkremple und mich als Arbeiter in die Ernte schicken
lasse, möchte ich mit Euch einen Augenblick innehalten. – Denn
vielleicht gehöre ich ja zunächst zu denen, die Jesus ansieht und
„im Innersten erschüttert“ ist, weil sie so müde und erschöpft
sind.


Stellen wir uns vor, Jesus würde uns fragen, was uns in der
Kirche müde und erschöpft sein lässt? Was würdet Ihr antworten?


Dass Ihr der Vertuschung von Schuld, der Verhärtung der Herzen
und des Streits in der Kirche müde seid? Oder dass Ihr nur die
viele Arbeit, aber nicht die große Ernte sehen könnt?


Ich fürchte, wenn wir in der Kirche nicht zugeben, dass wir müde
und erschöpft sind, dann geht es uns wie den Kindern: Wir werden
erst überdreht, dann knatschig und schließlich gibt’s Tränen.


Jesus sagt hier nichts zum Umgang mit Müdigkeit und Erschöpfung.
Er ruft seine Jünger zu sich. Jeden einzeln. Jeden bei seinem
Namen.


Ich stelle mir manchmal die Apostel vor, wie sie da stehen, bei
ihrem Namen gerufen, mit ihrer je eigenen Geschichte, mit ihrem
je eigenen Gesicht.


Wie werden die Gesichter der Apostel an jenem Nachmittag
ausgesehen haben? Einige von ihnen werden auch zu den Müden und
Erschöpften gehört haben. Auch ihr Gesicht ist ein Gesicht der
Kirche in der Welt.


„Kirche“ kommt von griechisch „Kyriake“ – die dem Herrn
Gehörende. „Ihr werdet mein besonderes Eigentum sein“, sagt Gott
beim Bundesschluss mit seinem Volk im Buch Exodus (Ex 19,5, 1.
Lesung). Nicht im Gegensatz zur Welt. Nein, die ganze Erde gehört
mir, sagt Gott zu Mose, „ihr aber sollt mir als ein Königreich
von Priestern und als ein heiliges Volk gehören.“ Die ganze Welt
gehört mir, aber ihr hört mich. Die ganze Welt gehört mir, aber
ihr hört mir zu.


„Mami, ich bin müde!“ Vielleicht ist es an der Zeit, mit Jesus zu
reden, wie das Mädchen mit seiner Mami. Vielleicht ist es an der
Zeit, Gott unsere Erschöpfung zu bringen. Vielleicht ist das der
Konsens, zu dem wir finden sollen: Eine Ökumene der Erschöpften,
die sagt: „Herr, wir sind müde.“ Und die ihm wieder neu gehören,
ihn hören, und ihm zuhören will.


Und wenn wir ihm lange zugehört haben, dann werden wir auch
unsere Namen und die Namen unserer Brüder und Schwestern hören,
wenn er sie ruft. Wir werden einander hören und zueinander
finden.


Wenn wir ihm gehören und ihn hören, werden wir herausgerufen aus
der Erschöpfung und der Müdigkeit. Wir werden nicht nur die viele
Arbeit, sondern Seine große Ernte sehen. Und wir werden
miteinander aufs Neue losgehen in Seiner Kraft und Seinem Namen
und die Menschen lieben, wie er sie liebt.


Fra' Georg Lengerke



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