Herzlich Willkommen und sei verflucht (Morgenandacht DLF vom 3. April 2023)

Herzlich Willkommen und sei verflucht (Morgenandacht DLF vom 3. April 2023)

4 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

„Sie küssten und sie schlugen ihn.“ So lautet der deutsche Titel
eines preisgekrönten Films von Francois Truffaut aus dem Jahr
1959. Er handelt von einem 14jährigen Jungen in Paris, der in
zerrütteten Familienverhältnissen aufwächst, und abwechselnd die
Zuwendung und Ablehnung der Erwachsenen erfährt.


Auch wenn die Geschichte eine ganz andere ist – „Sie küssten und
sie schlugen ihn“ wäre auch eine passende Überschrift über den
Ereignissen der letzten Tage Jesu. Das wird besonders am
gestrigen Palmsonntag deutlich, an dem die Kirche sich diese
letzten Tage in Erinnerung ruft: Da wird Jesus bei seinem Einzug
in Jerusalem mit dem begeisterten Jubelruf der Menge empfangen.
Doch schon wenige Tage später folgt der Karfreitag, an dem Jesus
von der aufgepeitschten Menge verworfen und schließlich qualvoll
hingerichtet wird.


Es muss eine geradezu volksfestliche Stimmung gewesen sein, als
Jesus am Palmsonntag auf einem Esel in die Stadt einzog. Die
Bibel erzählt, die Menschen hätten die Straße mit ihren Kleidern
und mit Zweigen bedeckt. Sie singen Psalmen über den kommenden
Messias, und die Augenzeugen erinnert das Ganze an den Propheten
Jesaja, der dem Volk Israel, der „Tochter Zion“, ausrichten
lässt, dass sein sanftmütiger König auf einer Eselin in Jerusalem
einziehen wird.


Mir ist an der Stelle immer etwas weihnachtlich zumute. Der
Evangelist Matthäus zitiert aus dem Alten Testament dieselben
Texte, die wir heute noch in dem Weihnachtslied „Tochter Zion“
von Georg Friedrich Händel singen: „Tochter Zion, freue dich! /
Jauchze laut, Jerusalem! / Sieh, dein König kommt zu dir! / Ja,
er kommt, der Friedensfürst.“ Die Freude in dieser Szene hat
wirklich etwas Weihnachtliches. An Weihnachten kommt Gott als
Mensch in die Geschichte der Welt und jedes Menschen, der ihn
aufnehmen will. Am Palmsonntag zieht derselbe in die heilige
Stadt ein und wird von den Menschen als der erkannt, willkommen
geheißen und gefeiert, der ihr Leben wenden kann.


In den folgenden Tagen spitzt sich die Lage um Jesus zu – bis er
nach der Feier des Abendmahls in einem Garten am Ölberg außerhalb
der Stadtmauer verhaftet wird.


Während des öffentlichen Prozesses hat sich das Blatt komplett
gewendet. Die aufgehetzte Menge fordert seinen Tod, und will den
am Kreuz sterben sehen, den sie gerade noch als messianischen
König bejubelt haben. Wie viele davon waren wohl dieselben, die
am einen Tag ihre Mäntel vor Jesus auf die Straße gebreitet und
aus voller Kehle den Jubelruf Hosanna angestimmt haben – und
wenig später wutschnaubend seinen Tod forderten?


Ich frage mich, wo ich in diesen Tagen gewesen wäre. Auch die
Jünger haben ja im Laufe dieser Tage alle die Flucht ergriffen,
ihn verleugnet oder verraten. Wo hätte ich gestanden, wenn selbst
seine Nächsten nicht geblieben sind?


Vor einigen Jahren hatte ich in der Zeit vor Ostern eine unruhige
Zeit. Es stellte sich die Frage, wie es mit mir weitergehen
sollte. Irgendwie war ich „dünnhäutig“ und sensibler als sonst –
auch im Hören der Lesungen der Woche vor Ostern. Mir ging alles
reichlich nahe: das „Hosanna dem Sohne Davids!“ wie das „Ans
Kreuz mit ihm!“


Am Karfreitag bei der Verehrung des Kreuzes sah ich dann den
nackten Jesus am Kreuz hängen. Die Arme weit ausgebreitet. Als
wollte er mich und die ganze Menschheit umarmen. Sie hatten ihn
geküsst und geschlagen. Und nun kam es mir so vor, als wäre er
es, der mich willkommen heißt. Als wäre an diesem tiefsten Punkt
seines und unseres Lebens er derjenige, der uns erwartet und
ankommen lässt bei ihm, um uns in die Arme zu schließen und uns
mitzunehmen in jenes Leben, über das der Tod keine Macht mehr
hat.


Fra' Georg Lengerke

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