Heilige Sünder 1 Kor 1,1-3

Heilige Sünder 1 Kor 1,1-3

4 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Bis zum 8. Sonntag im Jahreskreis wird dieses Jahr sonntags der
erste Brief des Apostels Paulus an die Korinther gelesen.


Manchmal sind unsere Briefanfänge höflicher als unsere Meinung
über die Adressaten. Wir schreiben „Liebe Anneliese“, obwohl wir
Anneliese weder lieben noch lieb finden, und „Sehr geehrter Herr
Kollege“, obwohl wir ihm in den folgenden Zeilen keineswegs die
Ehre geben. Oft sind solche Anreden nur Höflichkeit oder
Konvention.


Anders ist es, wenn Paulus den Brief nach Korinth an „die
Geheiligten in Christus Jesus, die berufenen Heiligen“ adressiert
– um sie anschließend zu rügen, dass es bei ihnen Streit und
Spaltung, Unzucht und Selbstruhm gibt.


Paulus ist nicht bloß höflich. Er meint wirklich die „Heiligen“
in Korinth. Denn zum Leben der Kirche und der einzelnen Christen
gehört es von Anfang an, dass sie die Spannung von Heiligkeit und
Sünde in sich tragen und aushalten müssen.


Heiligkeit hat zwar mit Vollkommenheit und Güte zu tun. Aber das
ist zunächst mal die Vollkommenheit und Güte Gottes. Heilig ist,
was zu Gott gehört und von Gott spricht.


In den Religionen wird daher der Bereich des Heiligen vom Bereich
des Profanen unterschieden. Der Bereich dessen, was von Gott
handelt, vom Bereich des rein menschlich Funktionalen oder der
Sphäre Gottes Entzogenen – mit allen Unschärfen und
Überschneidungen, die das in Gottes Schöpfung und insbesondere im
Leben der Menschen haben kann.


Denn das Verhältnis von heilig und profan ist keineswegs
statisch. Es geht im Leben Christi und der Christen ja gerade
darum, dass Leben und Welt (also auch das Profane) „geheiligt“,
also (wieder) Gott gemäß werden und von ihm erzählen sollen.


Paulus unterscheidet offenbar eine objektive und eine subjektive
Heiligkeit. Die Christen in Korinth wurden durch die Annahme des
Glaubens an Christus und die Taufe objektiv „geheiligt“ – und
zwar nicht nur um ihrer selbst willen, sondern für die Anderen.


Aber das allein macht sie noch nicht vollkommen und gut. Sie sind
zwar mit Gott verbunden, und jene anfängliche Trennung, die die
christliche Theologie etwas missverständlich „Erbsünde“ nennt
(statt z.B. „Ursünde“), ist überwunden. Aber dennoch bleiben sie
subjektiv der Möglichkeit der Sünde ausgesetzt, fallen sie hinter
ihre Heiligkeit und ihre Würde zurück, um wieder und wieder
aufzustehen, versöhnt zu werden und weiter zu gehen.


„Christ, erkenne deine Würde!“ schrieb Papst Leo d. Gr. im 5.
Jahrhundert den Christen, die auf diese Würde nichts gaben.
Vielleicht ist das eine der Grundschwierigkeiten des Christseins
heute: Wir ertragen nicht, gesagt zu bekommen, dass wir geheiligt
und zur Heiligkeit berufen sind und gleichzeitig Gutes
unterlassen und Böses getan haben.


Wir verdammen gnadenlos die Bösen (oder jene, die wir dafür
halten) und wollen für uns selbst ansonsten hören, alles sei
schon irgendwie in Ordnung oder normal oder unvermeidlich.


Ich will mir das Paradox eingestehen, geheiligt zu sein und
zugleich Gottes Heiligkeit (noch) nicht zu entsprechen. Je
ehrlicher ich damit bin, umso näher bin ich dem, der mich
heiligt, und umso verlockender wird für mich die Freiheit der
Heiligen, die darin besteht, dass die Sünde keine Macht mehr über
sie hat.


Und beim nächsten Brief an die „liebe Anneliese“ erinnere ich
mich, dass sie für Gott tatsächlich „lieb“ ist, und beim
Schreiben an den Herrn Kollegen, dass Gott als Mensch sein Leben
gegeben hat, um aus ihm einen „sehr Geehrten“ zu machen.


Fra' Georg Lengerke

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