Morgen vielleicht Lk 9,51-62

Morgen vielleicht Lk 9,51-62

4 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Einer meiner Kommilitonen im Jura-Studium hatte über seinem
Schreibtisch eine Postkarte hängen: „Morgen vielleicht fange ich
an.“


Es gibt mehrere Gründe, warum ich etwas verschiebe. Entweder
stelle ich mich nicht der Herausforderung oder der Mühe – oder
anderes ist wichtiger oder behauptet es zu sein. Meistens ist es
eine Mischung von beidem. Das heutige Evangelium handelt von der
Frage, was das Erste ist, auf das es ankommt.


Die erste Reaktion der Brüder Johannes und Jakobus auf die
Ablehnung Jesu in einem samaritischen Dorf ist der Gedanke an
Vernichtung. „Sollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel fällt und
sie verzehrt?“


Würden die ersten gedanklichen Reaktionen mancher Menschen auf
Kränkung oder Ablehnung wahr, gäbe es hinter ihnen vermutlich
eine Spur von Toten. Jesus weist die beiden zurecht und geht
weiter. Als wollte er sagen: Warten wir‘s ab. Noch ist nicht
aller Tage Abend.


Ein Mann sagt Jesus, er wolle ihm hier und jetzt folgen, wohin
immer er ginge. Offenbar stellt er sich vor, im Hause Jesu
untergebracht zu werden. Jedenfalls muss Jesus ihn korrigieren:
Selbst Füchse und Vögel haben ihren Ort – der Menschensohn nicht.
Es wird sehr anders sein, als Du denkst.


Dann wird von zweien erzählt, die Jesus zwar folgen wollen, aber
vermeintlich Erstwichtiges „zuerst“ erledigen wollen.


Das Begraben des Vaters ist heilige Pflicht. Doch schärfer könnte
die Reaktion Jesu kaum sein: „Lass die Toten ihre Toten begraben;
du aber geh und verkünde das Reich Gottes!“ Das ist unerhört und
grausam, dass hier einer sein Wort über die heilige Pflicht
stellt.


Aber das Gehen und Leben mit Jesus ist nicht die Alternative zu
diesem Recht oder jener Pflicht. Es ist die Weise, wie dieses und
jenes und alles seine Richtung, seine Bestimmung, seinen Sinn
bekommt. Mit Jesus wäre die Beerdigung eine andere geworden.
Lebendig tot sind in Jesu Augen jene, die dauernd alles Mögliche
andere tun, um nur nicht das Leben zu wählen. „Morgen vielleicht
fange ich an.“


Und schließlich ist da noch der, der erst Abschied von den Seinen
nehmen will. Komisches Wort im Deutschen, „Abschied nehmen“.
Vielleicht hätte er „Abschied geben“ statt „Abschied nehmen“
sollen. Weil nichts mehr mitzunehmen ist, worauf es noch ankäme.


Da will einer noch eine Zeit mit den Seinen, statt mit Jesus und
ohne Jesus verbringen. Ohne die Anteilnahme am Leben des
Menschgewordenen, ohne die Perspektive, die Liebe, die
Leidensbereitschaft, den Himmelshorizont Gottes. Aber es gibt
kein Zurück mehr, sagt Jesus, wenn Gott mit einem und einer mit
Gott etwas Neues begonnen hat.


Ohne die Gemeinschaft mit Jesus nichts mehr tun wollen, darauf
käme es an. Weil nichts ohne sie mehr Sinn macht.


„Morgen vielleicht fange ich an“, stand auf der Postkarte meines
Freundes. „Heute bestimmt fängst Du an mit mir“, schreibe ich auf
eine Karte und hänge sie über meinen Schreibtisch. Und nach den
Beerdigungen und Abschieden und danach, wie es weitergeht mit
Christsein und Kirche, das schauen wir dann.


Fra' Georg Lengerke

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