#005 Sonnenblumen

Zum elften Todestag meiner Mutter Johanna (19.12.1940 -
31.8.2011)


Die Inschrift auf dem Grabstein meiner Eltern ist noch immer
schwer greifbar. Vor allem, dass du Mama, wo du doch 10 Jahre
später als mein Vater geboren wurdest, schon 10 Jahre früher
diese Welt verlassen musstest. Einen Augenblick glaubte ich
schon, dass ihr euch den Todestag teilen würdet. Dass mein Vater
denselben Tag wählen würde, nur eben 10 Jahre nach dir. Es ist
sich nicht ganz ausgegangen, er hat am 23. August 2021, ganze 9
Jahre, 11 Monate und 23 Tage nach dir, seine Augen für immer
geschlossen, seinem Wunsch entsprechend zu Hause und ich konnte
bei ihm sein. 


Auch du Mama, wolltest gerne zu Hause sterben, doch du warst
nicht mehr transportfähig, sagten die Ärzte. Auf deine dringende
Bitte hin, nicht allein gelassen zu werden, ließ ich mir ein Bett
in dein Krankenhauszimmer stellen, sodass ich in deinen letzten
Nächten und Stunden bei dir sein konnte. Ich massierte deine
Füsse mit der Rosencreme, deren Duft du so gerne hattest. Schon
einige Zeit davor hattest du mir sehr konkrete Anweisungen
gegeben, wie dein Begräbnis ablaufen sollte. Sogar eine
handgeschriebene Liste mit den Namen der einzuladenden Gäste hast
du mir in die Hand gedrückt. Du wusstest, welche Lieder gesungen
werden sollten, welches Foto du auf deinem Erinnerungsbild haben
möchtest und dass du dir Sonnenblumen auf deinen Kränzen
wünschst, die hattest du immer besonders gerne. 


Eine einzelne, große Sonnenblume brachte ich dir am 30. August
mit und stellte sie in deinem Zimmer in eine Vase. Du hast dich
gefreut und gelächelt. In der Nacht auf den 31.8. bist du um 3
Uhr früh in meiner Anwesenheit verstorben. Ich konnte mein
Versprechen einlösen, dich nicht allein zu lassen. Nachdem der
Arzt deinen Tod festgestellt hatte und ich deinem Mann, meinem
Vater, telefonisch die traurige Nachricht überbracht hatte, fiel
mein Blick im Morgengrauen auf die Sonnenblume, die am Fenster
stand. Obwohl sie gestern noch ganz frisch gewesen war, ließ sie
den Kopf hängen. Als würde auch sie trauern. 


Ruhe in Frieden, Mama!

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