10 Tipps für Anfänger:innen in der Wissenschaftskommunikation
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Beschreibung
vor 2 Jahren
Meine Karriere ist in keiner Weise geradlinig. Ich habe mal
gelernt, wie man Mikroorganismen in großen Stahltanks aufzieht,
dann habe ich mich damit beschäftigt, wie winzige Proteine in
einer Tabakpflanze zusammenfinden und dann habe ich angefangen,
über Forschung zu kommunizieren. Jetzt, knapp 15 Jahre seit
Beginn meiner beruflichen Ausbildung, ziehe ich ein
Zwischenfazit.
Die Wissenschaftskommunikation wirkte immer wie für mich gemacht.
Man nimmt sich ein paar wissenschaftliche Fakten, findet eine
spannende Geschichte dazu, erzählt die einem Publikum und erntet
Lob und Wertschätzung. Klingt ziemlich gut.
In der Realität ist es dann ein bisschen anders. Man nimmt sich
ein paar wissenschaftliche Fakten aus der Institution, die einen
gerade bezahlt und häufig entscheidet, was jetzt gerade mal
bekannt werden soll, dann versucht man krampfhaft diese nischige
Nischenthema, das überhaupt nur 30 Wissenschaftler:innen weltweit
wirklich interessiert, spannend aufzubereiten und dann klicken 15
Leute auf den Link und die einzigen, die sich drüber freuen, sind
andere Leute aus der Wissenschaftskommunikation.
Das habe ich in unterschiedlichen Konstellationen mitgemacht. Und
ich würde gerne sagen können, dass es große Unterschiede gegeben
hat, aber das wäre gelogen. Irgendjemand am Geldhahn gibt ein
paar Themen vor, eine Mitarbeiterin der WissKomm wird drauf
angesetzt, irgendeine Verwaltung versucht so viel wie möglich zu
verschleppen oder ganz zu verhindern, und dann wird mit viel
geübtem Geschick für den Abschlussbericht aufgeschrieben, wie
erfolgreich alles war und dass wir das auf jeden Fall demnächst
mal wiederholen müssen.
Kleiner Fun Fact am Rande: in Folge 299 der Lage der Nation ist
die Wehrbeauftragte Eva Högl zu Gast und spricht über die
Missstände in der Bundeswehr. Zur Verwaltung und Beschaffung sagt
sie, dass dort das Europäische Vergaberecht "wirklich übertrieben
umgesetzt" sei. Außerdem gäbe es ein "Zuständigkeitswirrwarr, das
gepaart ist mit einer nicht überausgeprägten Entscheidungsfreude
[...]. Es schreiben ganz viele Menschen sehr gerne auf, warum
irgendwas nicht geht oder warum irgendein Gericht irgendwas
kippen könnte." Ich wusste gar nicht, dass ein Job an einer
Hochschule so viel mit dem Dienst an der Waffe gemein hat.
Ich glaube nicht, dass diese allgemeine Schieflage die Schuld von
einzelnen Leuten ist. Jede:r versucht (hoffentlich) ihr bestes,
doch am Ende ist das ganze System nicht in der Lage, wirklich
gute Inhalte zu produzieren. Das zeigt sich auch, wenn man den
Blick weiter in die deutsche WissKomm-Blase schweifen lässt.
Die beliebtesten, oder zumindest häufigsten Artikel, der
einschlägigen Portale heißen "10 Tipps für Einsteiger bei
Instagram" oder "So startest Du bei Twitter". Im Jahr 2022. Zu
einer Zeit, in der Brand Manager die Netzwerke mit Werbung
fluten, die Leute Netzwerke verlassen und ihr Höhepunkt laaaaange
zurück liegt, geben deutsche WissKomm Expert:innen Tipps, wie man
hier durchstarten kann.
Wie gesagt, das ist nicht die Schuld der Autor:innen, denn die
bedienen eine reale Nachfrage. Vor wenigen Jahren habe ich selbst
noch mitbekommen, wie ein Ruck durch die WissKomm ging, weil das
BMBF sich dazu durchgerungen hat, jetzt auch mal bei diesen
sozialen Medien mitzumischen. Davor gab es, ungelogen, eine
Absage der Projektträger zu der Bitte, doch einen Twitter-Account
für die Forschungskommunikation anzulegen.
Als dann auf YouTube die Zeit der persönlichen Vlogger und
kleineren Accounts endgültig vorbei war, und auch hier die großen
Teams und Werbeagenturen dominierten, sprang die deutsche
WissKomm auf den Video-Zug auf. Alles musste jetzt auf Biegen und
Brechen auf YouTube stattfinden. Auch ich habe einen Kanal mit
aufgebaut, der dutzende (DUTZENDE!) Klicks generierte. Und heute
sind es die Podcasts, die seit drei Jahren boomen und so langsam
auch in der WissKomm ankommen (habe ich erwähnt, dass Ihr mich
als Podcast-Coach buchen könnt?).
Die Wissenschaftskommunikation in Deutschland muss aufholen. Das
ist nicht einfach, denn die aktuellen Strukturen verlegen die
Entscheidungsgewalt nicht zu den Expert:innen im Gebiet sondern
zu den Projektträger:innen und Professor:innen, die sicherlich
andere Kompetenzen haben, aber WissKomm zählt nur selten dazu.
Wir brauchen ein besseres Verständnis dafür, was aktuell geht,
wir brauchen schnellere Umsetzung von Projekten durch kompetente
Mitarbeiter:innen (und mit weniger Verwaltung) und wir brauchen
auch eine Fehlerkultur, die Misserfolge Misserfolge nennt und
dafür nicht vom Projektträger bestraft wird. Stattdessen müssen
wir als Gemeinschaft aus diesen Fehlern lernen – und dann bessere
WissKomm machen.
Und ich wünsche mir auch von der WissKomm-Community, so diffus
sie auch sein mag, mehr Drang nach vorne. Wo sind die
Masterclasses von gestandenen Profis? Wo sind die innovativen,
spannenden, gut gemachten, aufregenden Erzählungen aus der
Wissenschaft? Wir wollen alle Storytelling machen, aber jeder
Workshop dazu kaut nur zum hundertsten Mal die Heldengeschichte
durch. Lasst uns endlich neues Terrain erkunden!
Ich bin zugegebenermaßen eher gefrustet. Vielleicht seht Ihr das
ja anders. Vielleicht bin ich zu negativ. Ich freue mich über
Eure Meinung zu dem Thema. Seid Ihr zufrieden mit der
Wissenschaftskommunikation in Deutschland?
Und sonst so
Zum Zeitpunkt, wenn ich diese Zeilen hier tippe, ist unser Auto
immer noch auf dem Rückweg aus Frankreich. Während ich warte,
habe ich meinen Rat vom letzten Newsletter befolgt und
tatsächlich mal ein paar Bewerbungen rausgeschickt und schon das
ein oder andere interessante Gespräch geführt. Mal sehen, was aus
mir wird.
Ach ja, auch sehr spanned ist übrigens, dass ich jetzt "Ehemann
einer Gründerin" in mein LinkedIn-Profil schreiben kann. Doro hat
mit zwei Kompagnons eine Genossenschaft für Tech und Design
gegründet: Village One. Schaut Euch das mal an, wenn Ihr fähige
Tech und Design Menschen sucht, die anders wirtschaften als die
üblichen StartUps. Herzlichen Glückwunsch zum Start, Doro, Harry
und Christoph!
Auf die Ohren
Passend zum Thema “Die Freude an der Arbeit im Öffentlichen
Dienst” gibt es eine sehr hörenswerte Folge der Lage der Nation
zum Stand der Digitalisierung in der deutschen Verwaltung.
Kleiner Spoiler: es ist nicht gut. Eine Folge, die wie keine
andere zuvor das Elend der verschleppten Digitalisierung in
Deutschland zusammenfasst.
Aus der Forschung
Trickle Down Economy ist Betrug
Dieses Paper schaut sich an, was in 18 OECD Ländern passiert ist,
nachdem dort die Steuern für die Reichen gesenkt wurden.
We find tax cuts for the rich lead to higher income inequality in
both the short- and medium-term. In contrast, such reforms do not
have any significant effect on economic growth or unemployment.
Our results therefore provide strong evidence against the
influential political–economic idea that tax cuts for the rich
‘trickle down’ to boost the wider economy.
(aus David Hope, Julian Limberg, The economic consequences of
major tax cuts for the rich, Socio-Economic Review, Volume 20,
Issue 2, April 2022, Pages 539–559, )
Trickle-down economics sind ein Scam und jetzt haben wir auch
eine Studie, die das belegt.
Wir müssen Klima-wütend werden
Eine andere Studie, die mir in den letzten Wochen nicht aus dem
Kopf geht, hat sich gefragt: was ist von Klima-Angst,
Klima-Depression und Klima-Wut am sinnvollsten?
Using Australian national survey data, we found that experiencing
eco-anger predicted better mental health outcomes, as well as
greater engagement in pro-climate activism and personal
behaviours. Eco-anxiety and eco-depression were less adaptive,
relating to lower wellbeing.
(aus Samantha K. Stanley, Teaghan L. Hogg, Zoe Leviston, Iain
Walker, From anger to action: Differential impacts of
eco-anxiety, eco-depression, and eco-anger on climate action and
wellbeing, The Journal of Climate Change and Health, Volume 1,
2021, 100003, ISSN 2667-2782, .)
Wo es geht sollten wir also nicht verzweifeln oder in Angst
verfallen, sondern wir sollten wütend werden. Klima-Wut treibt
uns viel eher dazu an, lokale und systemische Änderungen zu
fordern. Darauf ein GRRRRRR!
Was mich inspiriert
In Paris war ich in der Cité des Sciences et de l'Industrie, dem
Wissenschaftsmuseum der Stadt. Eigentlich wollte ich nur mit dem
großen in die Kinderausstellung, aber die war so gut, dass wir am
nächsten Tag gleich wieder kamen und uns den Rest des Hauses auch
noch anschauten. Verschiedene Ausstellungen zeigten Roboter,
Verkehrstechnik, Bionik und mein Highlight: die Sterne-Küche. In
einer wirklich interaktiven (und leider bereits beendeten)
Ausstellung habe ich gelernt, wie Profis mit der Hand Sahne
aufschlagen (mit einem virtuellen Sahneaufschlagapparat), unter
Zeitdruck Kuchendekorationen zu stapeln und wie es sich anfühlt,
wenn Farbe und Geschmack eines Madeleine nicht zusammenpassen.
Und auch die anderen Ausstellungen waren beeindruckend. Wer sich
für moderne Wissenschaftsausstellungen interessiert, muss sich
mal die Cité des Sciences in Paris anschauen.
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