Oskar Pastior - Ulf Stolterfoht. Gespräch. Episode 4
1 Stunde 34 Minuten
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Beschreibung
vor 3 Jahren
Oskar Pastior: Am Rande denkst du
Am Rande, denkst du, denkst du Sätze, die dich den-
ken. Du denkst, sie denken dich. In deinen Sätzen
bist du an ihrem Rand. Du bist eine Anrandung von
Sätzen, die dich an den Rand stoßen, Gegensätzen,
und auch an denen wandelst du entlang. Sätze, die
dich gegensätzlich denken, wandeln dich an und den-
ken Gegensätze, die du nicht denkst. An deinen Tat-
beständen kommst du nicht vorbei – es sind seltsame
Sätze. Du kannst an sie denken, sie denken nicht an
dich, sie denken dich seltsam am Rande, du bist ei-
ne Anwandlung von ihnen, die an Gegensätzen nicht
vorbeikommen. Am Rande der Sätze, in denen du bist,
liegst du noch ganz am Rand, wenn du darüber hinaus
denkst. Auch sie denken dich hinüber doch an ihren
Tatbeständen kommen sie nicht vorbei. Es sind nur
Sätze, die nur denken können. Du denkst, sie denken
dich, sie denken, du denkst sie, es ist eine Ver-
schwörung an den Sätzen, die dich nicht abwerfen
können, die du nicht abwerfen kannst, ein Inzest.
Am Rande des Denkens, solange du denkst, liegst du
in Sätzen an Sätzen, noch kann dich keiner über den
Rand verstoßen, den du nicht denkst, seltsam, du
bist nur in Sätzen in Sicherheit, die dich wiegt,
und nur in Sätzen in Freiheit, aber in welcher.
(Oskar Pastior: Wechselbalg. Gedichte 1977-1980. Verlag
Klaus Ramm: Spenge 1980.
Dieses Gedicht war der Anstoß zur Vorlesung Ränder - Theorien der
Literatur II. Warum? Darüber spreche ich mit dem Lyriker Ulf
Stolterfoht, der auch Mitglied im Stiftungsrat der Oskar Pastior
Stiftung ist.
Geboren wurde Oskar Pastior 1927 in Hermannstadt (Siebenbürgen);
1945–1949 Deportation ins sowjetische Arbeitslager im Donbas.
Nach der Rückkehr Gelegenheitsarbeit, Studium der Germanistik und
schließlich Rundfunktätigkeit in Bukarest. 1964 erschien der
erste Gedichtband Offne Worte. 1968 Flucht in den Westen. Lebte
seit 1969 als freier Schriftsteller in Berlin. Mitglied der
Werkstatt für Potentielle Literatur, «OuLiPo», die alle drei
Jahre im Literaturhaus Berlin tagt. Ebenso war Pastior Mitglied
der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt und
der Akademie der Künste in Berlin. Oskar Pastior starb am 4.
Oktober 2006 in Frankfurt a.M. Die Verleihung des ihm
zugesprochenen Georg Büchner-Preises konnte nur noch posthum
erfolgen.
Oskar Pastior wurde nach seinem Tod vorgeworfen, dass er 1961
eine Verpflichtungserklärung bei der Securitate, dem rumänischen
Geheimdienst, unterschrieben hat, in der er sich verpflichtet,
als IM für sie tätig zu sein, und dass er diese Verpflichtung
sieben Jahre lang bis zu seiner Ausreise aus Rumänien 1968 nicht
widerrufen hat. Seine tatsächlichen Spitzeltätigkeiten können
nach heutigen Erkenntnissen als harmlos eingestuft werden.
Dennoch hat diese Offenbarung auch die Rezeption seines Werks
beeinflusst.
Ulf Stolterfoht wurde 1963 in Stuttgart
geboren. Nach dem Abitur Zivildienst (Forstarbeit mit
Obdachlosen). Danach ein Studium der Germanistik und Allgemeinen
Sprachwissenschaft in Bochum und Tübingen. Seit 1994 lebt er in
Berlin, seit 2000 als freier Schriftsteller und Übersetzer (u.a.
Gertrude Stein, J.H. Prynne und Tom Raworth). Er ist Lyriklehrer
an den Instituten in Wien, Biel, Kopenhagen und immer mal wieder
in Leipzig. 2009 hatte er die Poetikdozentur an der Universität
Hildesheim. Ulf Stolterfoht ist Knappe der Lyrikknappschaft
Schöneberg und seit 1982 Teil des Impro-Kollektivs DAS WEIBCHEN.
Im Herbst 2014 nahm sein Verlag BRUETERICH PRESS die Tätigkeit
auf: „Schwierige Lyrik zu einem sehr hohen Preis“
Am Rande, denkst du, denkst du Sätze, die dich den-
ken. Du denkst, sie denken dich. In deinen Sätzen
bist du an ihrem Rand. Du bist eine Anrandung von
Sätzen, die dich an den Rand stoßen, Gegensätzen,
und auch an denen wandelst du entlang. Sätze, die
dich gegensätzlich denken, wandeln dich an und den-
ken Gegensätze, die du nicht denkst. An deinen Tat-
beständen kommst du nicht vorbei – es sind seltsame
Sätze. Du kannst an sie denken, sie denken nicht an
dich, sie denken dich seltsam am Rande, du bist ei-
ne Anwandlung von ihnen, die an Gegensätzen nicht
vorbeikommen. Am Rande der Sätze, in denen du bist,
liegst du noch ganz am Rand, wenn du darüber hinaus
denkst. Auch sie denken dich hinüber doch an ihren
Tatbeständen kommen sie nicht vorbei. Es sind nur
Sätze, die nur denken können. Du denkst, sie denken
dich, sie denken, du denkst sie, es ist eine Ver-
schwörung an den Sätzen, die dich nicht abwerfen
können, die du nicht abwerfen kannst, ein Inzest.
Am Rande des Denkens, solange du denkst, liegst du
in Sätzen an Sätzen, noch kann dich keiner über den
Rand verstoßen, den du nicht denkst, seltsam, du
bist nur in Sätzen in Sicherheit, die dich wiegt,
und nur in Sätzen in Freiheit, aber in welcher.
(Oskar Pastior: Wechselbalg. Gedichte 1977-1980. Verlag
Klaus Ramm: Spenge 1980.
Dieses Gedicht war der Anstoß zur Vorlesung Ränder - Theorien der
Literatur II. Warum? Darüber spreche ich mit dem Lyriker Ulf
Stolterfoht, der auch Mitglied im Stiftungsrat der Oskar Pastior
Stiftung ist.
Geboren wurde Oskar Pastior 1927 in Hermannstadt (Siebenbürgen);
1945–1949 Deportation ins sowjetische Arbeitslager im Donbas.
Nach der Rückkehr Gelegenheitsarbeit, Studium der Germanistik und
schließlich Rundfunktätigkeit in Bukarest. 1964 erschien der
erste Gedichtband Offne Worte. 1968 Flucht in den Westen. Lebte
seit 1969 als freier Schriftsteller in Berlin. Mitglied der
Werkstatt für Potentielle Literatur, «OuLiPo», die alle drei
Jahre im Literaturhaus Berlin tagt. Ebenso war Pastior Mitglied
der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt und
der Akademie der Künste in Berlin. Oskar Pastior starb am 4.
Oktober 2006 in Frankfurt a.M. Die Verleihung des ihm
zugesprochenen Georg Büchner-Preises konnte nur noch posthum
erfolgen.
Oskar Pastior wurde nach seinem Tod vorgeworfen, dass er 1961
eine Verpflichtungserklärung bei der Securitate, dem rumänischen
Geheimdienst, unterschrieben hat, in der er sich verpflichtet,
als IM für sie tätig zu sein, und dass er diese Verpflichtung
sieben Jahre lang bis zu seiner Ausreise aus Rumänien 1968 nicht
widerrufen hat. Seine tatsächlichen Spitzeltätigkeiten können
nach heutigen Erkenntnissen als harmlos eingestuft werden.
Dennoch hat diese Offenbarung auch die Rezeption seines Werks
beeinflusst.
Ulf Stolterfoht wurde 1963 in Stuttgart
geboren. Nach dem Abitur Zivildienst (Forstarbeit mit
Obdachlosen). Danach ein Studium der Germanistik und Allgemeinen
Sprachwissenschaft in Bochum und Tübingen. Seit 1994 lebt er in
Berlin, seit 2000 als freier Schriftsteller und Übersetzer (u.a.
Gertrude Stein, J.H. Prynne und Tom Raworth). Er ist Lyriklehrer
an den Instituten in Wien, Biel, Kopenhagen und immer mal wieder
in Leipzig. 2009 hatte er die Poetikdozentur an der Universität
Hildesheim. Ulf Stolterfoht ist Knappe der Lyrikknappschaft
Schöneberg und seit 1982 Teil des Impro-Kollektivs DAS WEIBCHEN.
Im Herbst 2014 nahm sein Verlag BRUETERICH PRESS die Tätigkeit
auf: „Schwierige Lyrik zu einem sehr hohen Preis“
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