Hören wir einander zu!

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Hören wir einander zu!
3 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren
Der letzte Freitag war ein strahlend schöner Tag, was man sich nach
gefühlt einer vollen Regenwoche gar nicht mehr vorstellen konnte.
Am Abend nach der Vesper bin ich also mit meiner Mitschwester in
unser Gärtchen auf der Mauer gegangen, um ein ganzes Stück
umzuhacken, Unkraut zu jäten und mit Sommerblumen einzusäen. Direkt
neben unserem Garten ist der Engelsturm, einer von noch zwei
Wehrtürmen der Stadtmauer, die noch da sind. Dieses Areal um den
Turm ist sehr beliebt bei Jugendlichen, die sich da treffen und
sich unbeobachtet fühlen. Da stand also schon eine ganze Truppe
Jungs, die natürlich nicht so toll fanden, dass wir da jetzt
arbeiten wollten. So sind sie zwei, drei und auch vier Runden ums
Karree gelaufen, immer in der Hoffnung, dass wir dann weg sind.
Aber wir waren immer noch da. Und auf einmal, was noch nie passiert
ist, kamen sie an den Zaun zu uns. Und einer, der Anführer der
Truppe hat gefragt, ob sie denn mal was fragen dürften. Natürlich
durften sie. Die Einstiegsfrage ging darum, was wir vom
Kopftuchverbot hielten, wahrscheinlich, weil wir ja auch quasi
Kopftücher tragen. Und nach dem ersten Geplänkel, um zu testen, wie
wir so ticken, ging es dann um alles: um Gott und die Welt, um die
Türkei und Deutschland, um den Konflikt in Israel und den
Palästinensergebieten, um Hoheitsrechte eines Staates, um freie
Religionsausübung und so weiter. Ich fand es ein tolles Gespräch
und nebenbei, mal ich mal meine Mitschwester, haben wir weiter
gehackt, gejätet, geharkt und dann auch die Sommerblumen eingesät.
Nach mehr als einer Stunde intensiven Gesprächs haben sie sich
verabschiedet. Sie sind Schüler des Berufskollegs und machen
Wirtschaftsabitur, also schon kluge junge Leute. Man spürte schon
sehr deutlich, wes Geistes Kinder sie waren und die Indoktrinierung
aus dem Heimatland der Eltern war ziemlich stark. Aber am Ende
haben wir alle, die Truppe junger Männer und wir beiden Schwestern,
sehr gespürt, wie toll es ist, einander zuzuhören, Argumente
auszutauschen, die jeweils andere Seite anzuschauen und auch die
eigenen Festlegungen abzuklopfen. Es war belebend und wohltuend.
Und kurz bevor sie die Treppe nach unten weggegangen sind, meinte
quasi ihr Sprecher: „Wow, sie haben so nebenbei richtig was
geschafft“. Ich habe mich gefreut und hoffe ein bisschen, dass er
nicht nur das frisch eingesäte Blumenbeet meinte.

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