Folge 14: Kontraste

Folge 14: Kontraste

30 Minuten
Podcast
Podcaster
Der Podcast für Brüder, Schwester und alle, die sich für Freimaurerei interessieren. Ausgewählte "Zeichnungen" (Impulsvorträge) von Freimaurern.

Beschreibung

vor 3 Jahren

Kontraste


Eine Zeichnung von Alexander Walter


 


Heute erbitte ich Ihre Begleitung bei einem kleinen Gang rund um
das Thema der Kontraste. Manche Kontraste schätzen wir nur, weil
sie eben solche sind. Sie bringen keine weitere Qualität mit
sich. Andere Kontraste zeichnet in ihrer Unterschiedlichkeit aus,
dass sie selbst etwas darstellen, das uns fremd und unbekannt
ist, an dem wir unsere Neugier befriedigen können, indem wir sie
erkunden und, im besten Fall, etwas von ihnen lernen. Immer aber
machen Kontraste etwas erkennbar, lassen etwas in Erscheinung
treten. Sie erhellen, beleuchten. Kontrastlosigkeit ist
Blindheit. Das ist sinnesphysiologisch, psychologisch und
spirituell so. Aber Kontraste erzeugen auch Reibung, manchmal
dadurch, dass sie etwas visualisieren oder erfahrbar machen, das
vorher im Dunkeln gelegen hat, verborgen war, nicht dem
Bewusstsein zugänglich gewesen ist, also intraindividuell. Oder,
wenn diese Reibung nicht als rein kognitive Dissonanz auftritt,
kann sie auch interindividuell vorkommen, also zwischen den
Menschen konstruktiv als Verschiedenheit, die Entwicklungsmotor
ist - oder destruktiv, als Streit, der Entwicklungsbremse ist.
Die Reibung durch Kontraste selbst aber ist an sich eine
produktive Kraft, die wärmt, solange man sie so kontrolliert,
dass man sich nicht durch ihre übergroße Hitze bei zu geringer
Distanz die Finger an ihr verbrennt. Und von all dem, liebe
Zuhörer, insbesondere in Bezug auf die Freimaurerei und auf
Menschen, habe ich die Freude, heute ein wenig sprechen zu
dürfen.


***


Lassen Sie mich Ihnen zunächst ein kleines Bild verbal malen, das
einen winzigen Ausschnitt einer Tempelarbeit zeigt.
Selbstverständlich nur in einem Rahmen, der nicht unnötig
Unbekanntes preisgibt und sie nicht, sollten Sie einmal den Weg
in unsere Schwestern- oder Bruderschaft finden, der Erfahrung des
Neuartigen, die für eine Initiation so wesentlich ist,
vorausgreifend beraubt. Es gibt in der Freimaurerei ein Symbol,
das für die Maximalausprägung der Kontraste steht: Das musivische
Pflaster. Dieses findet sich als Mosaik aus weißen und schwarzen
Feldern, die unterschiedliche Form haben können, häufig aber
viereckig und schachbrettartig auftauchen, auf dem Boden des
Tempels und auf dem sogenannten Arbeitsteppich, der in der Mitte
des Raumes liegt und sehr viele Symbole in sinnhafter Anordnung
zeigt. 


Um diesen Teppich herum finden sich die Schwestern oder Brüder
einer Loge. Unsere Kleiderordnung gibt ebenfalls ein klares
Schwarz-Weiß vor. Schwarze Schuhe und Anzug bei weißem Hemd und,
zumindestens in Deutschland, weißem Querbinder oder Krawatte. Das
Fundament des realen Raumes, in dem wir uns befinden, zeigt also
den selben Wechsel an Kontrasten wie unsere reale, menschliche
Oberfläche. Zwischen beidem, nun aber physisch, psychisch und
spirituell gedacht, findet Freimaurerei statt. Praktisch sitzen,
stehen oder gehen wir auf diesem Boden der Kontraste, verhalten
uns dort, interagieren auf ihm miteinander. Bewegtes, dynamisches
Schwarz-Weiß auf unbewegtem, statischen Schwarz-Weiß. Theoretisch
steht dieses Schwarz-Weiß für vieles, das erläutert wird im
Ritual, in Zeichnungen, Diskussionen und Instruktionen. Und zu
welchem Ergebnis man auch immer kommen mag, welche Polaritäten es
auszudrücken versucht, immer ist es Inspiration.


Vieles kann es ohne sein Gegenteil nicht geben. Keine Weisheit
ohne Torheit, keine Stärke ohne Schwäche, keine Schönheit ohne
Häßlichkeit. Und doch liegt zwischen den Extremen, zwischen ganz
weiß und ganz schwarz, der große moderate Bereich, liegen die
vielen Graustufen, die letztlich die Wirklichkeit ausmachen. Und
an einem reinen Schwarz-Weiß, einer Polarisierung zum Schlechten,
einer ausschließlichen und außschließenden Gegensätzlichkeit
eines Dualismus, der nicht Dualität, also Beziehung,
Referenzialität und versöhnlichen, harmonischen Bezug zwischen 2
Antonymen zulässt, habe ich mich schon immer gestört. Es gibt zu
viel Schwarz-Weiß-Denken, zu viel Extreme und Extremes, zu viel
Radikalität und Radikales. Wahre Kraft und schöpferisches
Potential kann nur in der Mitte, in der Ruhe, im Ausgleich
zwischen den Gegensätzen liegen. Die Realität ist ein graues
Fließgleichgewicht zwischen Weiß und Schwarz. Die der
Freimaurerei inhärente Humanität ist diejenige Geisteshaltung der
Schwestern und Brüder, die sich in Taten zu manifestieren hat und
wesentlich darin besteht, dass der Freimaurer dieses Grau durch
Zugabe von mehr Weiß und Wegnahme von mehr Schwarz aufzuhellen
versucht. 


***


Und doch kann mir das musivische Pflaster, auch wenn das Grau in
ihm nicht vorkommt und Weiß und Schwarz nicht so trefflich
ineinander verschränkt sind, wie beispielsweise im Zeichen für
Yin & Yang, als Symbol sehr viel sagen. So ist es die Aufgabe
des Freimaurers, der die Wirklichkeit und insbesondere sein
Schaffen darin stets als grau begreifen sollte, zu erkunden,
welche seiner Handlungen die Welt tendenziell weißer oder
schwarzer machen. Denn oft kann man beim Nachdenken darauf
verfallen, dass wir von polaren Urkräften durchströmt sind, von
gut und böse. Konstruktion und Destruktion, Licht und Dunkelheit,
Leben und Tod, welche der Urgrund unseres Seins sind, wie das
Weiß-Schwarze-Mosaik auf dem Boden unseres Tempels. Und diese
beiden Kräfte, Neigungen, Impulse, Antriebe, die in den Adern
unserer Seele fließen, der Seele, die zwischen dem Geist und dem
Körper vermittelt, machen wir außerkörperlich sichtbar wie eine
Aura in den Farben der Kleidung, die wir tragen.


Wir finden das Weiß-Schwarz also unter uns, in uns, um uns und,
natürlich auch über uns. Nirgendwo, so erinnere ich mich, wird
Licht und Dunkelheit so schön sichtbar wie am Firmament. Für die
Freimaurerei wesentlich ist die Einstellung, sich selbst als
Kontrast aufzufassen, den man mit seinen Handlungen bieten
sollte. Wo Dunkelheit oder gar Finsternis herrscht, sollte die
Schwester oder der Bruder das Licht sein, das leuchtende Vorbild,
das-, die- oder derjenige, der das erste Weiß in die Schwärze
bringt. Denn nur dann werden auch die Mitmenschen beginnen,
inspiriert davon, aufmerksam geworden für einen ihnen
innewohnenden Impuls, bestärkt darin, ihm nachzugeben, ihm zu
folgen, darauf vertrauend, dass die eigene Humanität Widerhall
und Erwiderung finden wird,  ebenfalls das Licht in die
Dunkelheit zu bringen, die Kälte mit der Wärme des Herzens zu
vertreiben.


Nun mag man das alles als sehr pathetisch, abstrakt und weltfremd
abtun. Genau das ist es aber nicht. Es ließe sich auch in einem
Stammtischgejammer mit dem verbalen Schlag auf den Tisch
ausdrücken. Denn was es ist, ist menschlich durch und durch. Wenn
uns scheinbar Unrecht widerfährt, wir an menschengemachten
Vermeidbarkeiten leiden müssen, unsere Sorgen, Nöte, Schmerzen
und Ängste keine Linderung erfahren, dann ist es genau das,
wonach wir uns als Menschen sehnen. Wir wollen Gerechtigkeit,
mehr Licht, mehr Weiß, mehr Recht, mehr Toleranz, mehr Freiheit,
mehr Frieden. Das aber, können wir nur für uns beanspruchen, wenn
wir auch bereit sind, es den anderen zukommen zu lassen. 


***


Und, um es in aller Deutlichkeit auszudrücken, obwohl es mir
wahrhaft fern liegt, irgend jemanden in seinen religiösen
Gefühlen zu kränken, für meine Generation und die folgenden ist
diese Sehnsucht nach dem Weiß, nach mehr Güte, nach mehr Licht,
der positiven Seite der Ethik, eben nicht der Wunsch oder die
Suche nach Gott. Wir wollen das weder im Jenseits, noch irgendwo
in der Transzendenz. Wir wollen das im Hier und Jetzt, im Dasein,
in der Wirklichkeit, in den Menschen, ganz irdisch. Wir haben
überhaupt keinen Gottesbegriff mehr. Woher denn auch? Von
Kirchen, die man nur noch im Kontext von Pädophilie,
Machtmissbrauch oder fragwürdig konservativen Wertepositionen her
kennt? Ich hätte gerne einen Gott. Aber wer hätte ihn mir denn
lehren sollen? Der Pfarrer mit Neigung zur Gewalt? Letztlich ist
es bei den Menschen, die Gottesfurcht predigen wohl genau so, wie
bei den Menschen, die Menschenfurcht predigen. Es ist alles eine
Frage der Glaubwürdigkeit. Und egal, ob man nun zum einen oder
anderen aufruft, die Glaubwürdigkeit verloren hat man, wenn man
es an der Humanität in den Handlungen fehlen lässt oder sogar ihr
zuwider handelt. Meine Generation steht vor der schwierigen
Aufgabe, eine Ethik ohne Gottesbezug ausleben zu müssen. Und es
waren nicht wir selbst, die uns dies ausgesucht haben. Wir wurden
in eine Welt hineingeboren, in der unsere Vorfahren zum Mörder an
Gott geworden sind.


Aber auch da muss man die andere Seite sehen. Wir haben in
Deutschland nicht nur Gott zu Grabe getragen, wir haben in
unserer Vergangenheit auch die Menschlichkeit beerdigt. Der
Nationalsozialismus war wohl ebenso gottlos wie inhuman. Die
Humanität hat eine Wiedergeburt gefeiert, Gott sei dank. Und
Gott? Ich glaube, dass die Reanimation Gottes in einem
gesellschaftlich verbindlichen Sinne gescheitert ist. Und da in
Glaubesbezügen gerne von Schuld gesprochen wird, sei ausdrücklich
noch einmal gesagt, dass nicht wir die Mörder Gottes waren, nicht
wir diejenigen waren, die an seiner Reanimation gescheitert sind.
Uns wurde Gott einfach nicht glaubhaft vermittelt. Und wir können
jetzt nicht so tun, als wäre dem so gewesen. Ich würde mich über
einen Gott, der meine Ethik begründet, sehr freuen. Ich wünschte,
ich hätte die Kraft und Stärke, an einen solchen zu glauben. Aber
sie sind einfach nicht vorhanden. Und trotz aller meiner
Bemühungen wollen sie sich nicht einstellen.


***


All das ändert aber absolut nichts an dem Glauben, den ich habe
und der mich erfüllt. Denn die Kraft zum Glauben an einen Gott
stellt sich nicht nur deshalb nicht ein, weil sie mir nicht
geschenkt, von der Genese her durch Bildung nicht angelegt worden
ist, sondern auch deshalb, weil die reine Humanität, der direkte
Glaube an den Menschen und seine Fähigkeiten, der diesseitige,
realistische, aufgeklärte Blick auf das menschliche Wesen einfach
genug für mich sind. Da gibt es kein Defizit, was für mich
erlebbar wäre. Ich glaube einfach an den Menschen, das Gute in
ihm, sein Potential, seine Möglichkeiten, seine Fähigkeiten,
seine Leistungen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ein
solcher Glauben hat es ebenso wenig nötig sich zu rechtfertigen,
wie der Glaube an einen Gott.


Denn selbstverständlich, auch wenn ich die Verfehlungen der
Kirchen bewusst anprangere – in einem gesellschaftlichen,
weltlichen Sinn, aber durchaus auch spirituell in einem erzeugten
Ethikmangel oder Ethikvakuum, die sich aus einem fehlenden
Gottesbezug vorübergehend haben ergeben müssen – bin ich
ebensowenig wie Nietzsche der erste, der Gott für tot erklärt.
Und das ist eben auch nur die halbe Wahrheit. Denn Gott wird so
lange lebendig sein, wie es Menschen gibt, die ihn durch ihren
Glauben vital halten. Und daran gibt es auch nichts zu
kritisieren. Im Gegenteil. Der Gottesglaube kann die
Verhaltensmotivation für Humanität sein. In Krankenhäusern, die
in christlicher Trägerschaft sind, kann man dies sehr gut
beobachten. Und es spielt absolut keine Rolle, woraus die
Humanität hervorgeht, solange sie stattfindet. Mag der eine sie
erbringen, indem er sich auf die 10 Gebote bezieht, der andere,
indem er sie von den Menschenrechten her ableitet.


Ich habe keinen Zweifel daran, dass Gläubige, die inhuman
handeln, ihren Gott missverstehen. Und ich bin sicher, dass
Atheisten oder Agnostiker, die ihren fehlenden Gottesbezug zur
Religion machen wollen, indem sie ihn versuchen Gläubigen
aufzuzwingen, indem sie den aus einem Gottesglauben heraus human
handelnden Menschen den Grund ihres Wirkens zu entziehen
versuchen, Humanität nicht verstehen. Und zwar in jeder Hinsicht.
Denn an Gott zu glauben muss ja menschlich sein, wie Humanität
göttlich ist.


***


Es gibt in der Freimaurerei in Bezug auf die Religionen, Götter
oder auf das Symbol des Allmächtigen Baumeisters aller Welten,
über und um die Anerkennung eines obersten Prinzips oder eines
obersten Wesens und Seins, eines "supreme beeings" und wie man es
zu übersetzen, aufzufassen und interpretieren hätte, allerlei
Kontroverse. Ich erlaube mir in aller Deutlichkeit zum Ausdruck
zu bringen, dass ich sie weitesgehend nicht nur für überflüssig,
sondern auch für kontraproduktiv halte. Religiöse Intoleranz
könnte man nicht besser darstellen, als in solchen
Streitigkeiten, die sich darum entwickeln. Und wie war das noch
eben mit der Glaubwürdigkeit? Wir geben vor, für religiöse und
politische Toleranz einzutreten, oder? Und man könnte die
Menschen auch nicht besser verwirren. 


Diese sinnlosen Streitigkeiten um gesellschaftlich bedeutungslose
Phänomene, die aber der Einzelne unglaublich schwer gewichtet,
sensibel, gekränkt und beleidigt durch die Meinung, den Glauben,
die Haltung des anderen, sind erbärmlich und peinlich, vor allem,
wenn sie in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Sie können
sich zwischen den Schwestern und Brüdern einer Loge, zwischen
Logen oder zwischen Großlogen ergeben. Sie sind freilich auch
zutiefst menschlich. Aber eben nur dadurch, dass die
Menschlichkeit darin gescheitert ist. 


Wir haben in Deutschland verschiedene Großlogen. Einige
praktizieren eine humanitäre Freimaurerei, andere eine
christliche. Diesen Kontrast zwischen den maurerischen Systemen
haben wir selbst geschaffen. Er spiegelt sich im Ritual, in
Symbolen, in Strukturen wider. Und da ich einer humanitären Loge
angehöre, hier nur meine Meinung wiedergebe, diese auch nicht für
meine Loge oder Großloge stellvertretend ins Feld führe, kann ich
nicht für mich beanspruchen, für irgendeine andere Schwester oder
irgend einen anderen Bruder zu sprechen, erst Recht nicht für
einen christlichen Maurer, wenn ich sage, dass es diese
Unterschiedlichkeiten, die es in den Systemen und Formen der
Deutschen Freimaurerei gibt, nicht in der grundsätzlichen
Geisteshaltung bestehen, die ihr zugrunde liegt. 


Es mag dem Außenstehenden noch so schwer verständlich erscheinen,
aber ich behaupte, dass wir die selbe Geisteshaltung lediglich
anders benennen und ausdrücken. Nächstenliebe, Barmherzigkeit und
die Vergebung sind doch wesentliche Teile der Humanität. Und
Menschenliebe, Menschenwürde, Menschenrechte und
Menschenpflichten muss man wohl von jeder Religion, von jedem
Gott her ableiten können. Die Ebene, auf der man sich dabei
begegnet, ist die der Taten, mag der eine sie als christlich, der
andere als humanitär motiviert bezeichnen. Wer seine Zeit damit
verschwendet, sich darüber zu streiten, ob die Werte, die
dahinter stehen, das eine oder das andere sind, der hat den
Umgang mit dem 24-zölligen Maßstab als Lehrling nicht richtig
gelernt. Bei uns steht dieses Symbol des 24-zölligen Maßstabes,
mit dem der Lehrling vertraut gemacht wird, für die Aufforderung,
sich im Bewusstsein der Endlichkeit des eigenen Lebens, Gedanken
um die rechte Zeiteinteilung zu machen. Womit verbringt man die
24 Stunden des Tages? Ich bin sicher, dass für sinnlose
Streitigkeiten der Wert 0 an diesem Maßstab eingetragen ist. Und
ich bin auch sicher, dass man die Zeit für humanitäres Handeln
gerne mit 24 bemessen darf.


***


Wir sind als Logen, als Schwestern und Brüder, als Freimaurer
Kontraste zur Gesellschaft. Das muss unser Selbstanspruch sein.
Gerade in Ablehnung und Zurückweisung des Vorwurfs, wir seien
eine Elite wie Service-Clubs, betonen wir immer wieder, wir seien
ein Spiegelbild der Gesellschaft, weil sich bei uns alle sozialen
Schichten finden würden. Ein solches Selbstbild muss ich
entschieden als falsch zurückweisen. Ja, bei uns sind der Beruf
oder das Einkommen nicht Faktoren, anhand derer exkludiert wird.
Aber wir sind so weit weg davon ein Spiegel der Gesellschaft zu
sein, wie man es nur sein kann und wie wir auch keine Elite sind.
In meiner Loge gibt es nur Männer, alle sind nachdenklich,
reflektiert und verhältnismäßig schlau, alle sind
werteorientiert, haben einen hohen Selbstanspruch, gute Manieren,
sind höflich, rede- und weltgewandt. Das soll ein Spiegelbild der
Gesellschaft sein? Verzeihung, aber wo leben wir denn?


Um mich herum sehen die Verhältnisse doch ganz anders aus.
Natürlich gibt es auch da jede Menge solche Menschen, die keine
Freimaurer sind. Aber daneben stehen auch viele Menschen, die
unhöflich, dumm, aggressiv, feindlich und vieles weitere sind.
Denen würden sie in einer Loge nie begegnen. Solche entwickeln
nie ein Interesse an Freimaurerei. Und kommt es auf Basis einer
zunächst falschen Vorstellung über sie doch dazu, dass sie in den
Kennenlernprozess mit einer Loge eintreten, exkludieren sie sich
meist rasch selbst, wenn ihnen aufgeht, was die Königliche Kunst
tatsächlich ist. Als Freimaurer sind wir gleich und als Menschen
sind wir gleich. Wir erheben uns weder als Loge über die
Gesellschaft, in der wir die Freude haben existieren zu dürfen,
noch verlassen wir die Winkelwaage, die ein Symbol der Begegnung
auf gleicher Ebene, auf Augenhöhe ist, indem wir Selbstüberhöhung
gegenüber der Schwester oder dem Bruder betreiben. Wir sind und
bleiben als Freimaurer gleichwertig untereinander und gegenüber
Profanen, sind daher keine Elite und bilden doch - das ist und
bleibt unser Selbstanspruch - einen gut sichtbaren Kontrast in
unseren Handlungen. Eine tatenlose Selbstvervollkommenung kann es
nicht geben.


***


Das Ritual ist ebenfalls ein Kontrast zur Lebenspraxis. In einer
Wirklichkeit, die immer schneller abläuft, einer Alltagshektik
gleicht es dem gedrückten Pauseknopf am Mediaplayer. Die
eintretende Pause und Stille erlaubt uns, zu der Ruhe zu finden,
nach der wir uns sehnen, die nicht einem Schnellvorlauf, dem
Vorspuhlen gleicht, wie wir es so oft in Beruf und Alltag
erleben, sondern einer Zeitlupe, einer Slowmotion. In der
Slow-Motion finden wir besser zurück zur E-Motion und damit zu
uns selbst. Denn - davon bin ich überzeugt - in einer Welt, in
der Religionen und Kirchen unwichtiger geworden sind, in der
jedes haltlose Geschwätz Spiritualität genannt werden darf, diese
Geistesorientierung also zur absoluten Beliebigkeit verkommen
ist, haben wir unglaubliche Probleme, bei uns zu bleiben, uns
selbst begegnen zu können, uns zu finden, zu wissen, wer wir
sind, warum wir so geworden sind, wie wir sind und wer wir gerne
sein wollen. Wir haben schlicht und einfach keine Zeit mehr zur
Reflektion, für Sinnfragen. Wir funktionieren von A nach B, mehr
nicht. Wir ahnen, dass in einer globalisierten Welt mit einem
gefühlskalten Weltbild der Wissenschaftlichkeit, dem vollkommen
die Ethik, Werte und Menschlichkeit abhanden gekommen ist.


Die Wissenschaften, die Aufklärung, der Humanismus waren und sind
ein Segen für uns Menschen. Aber wir müssen damit schon auch das
richtige tun. Sie sind kein Selbstläufer. Das muss man vom
Standpunkt des Wissenschaftlers ebenso anerkennen, wie von dem
des Gläubigen. Mit wissenschaftlicher Methodik kann man Gutes
oder Schlechtes machen. Mit dem Glauben auch. Schwarz und Weiß
gibt es in, an und mit beiden. Das Gewissen, das wir in der
Freimaurerei mit dem Winkelmaß, das wir an unsere Taten anlegen,
sehr zentral symbolisieren, sowie die Ethik, die wir als
besonderer Bund inhaltlich umfangreich bearbeiten, entscheidet
letztlich in beiden Bereichen darüber, ob in der Wirklichkeit
mehr Weiß oder mehr Schwarz aus ihnen erwachsen.


Die in der königlichen Kunst weit verbreitete Methode des
Symbolisierens zeichnet sich wesentlich dadurch aus, dass das
Bezeichnete, das Signifikat, nicht direkt, unmittelbar, konkret
benannt, bezeichnet wird, sondern durch ein Zeichen, ein
Signifikant ausgedrückt wird, das vager, inkonkreter, abstrakter
bleibt. Das entspricht eindeutig nicht einer wissenschaftlichen
Methodologie, in der Theorien und die von ihr abduzierten
Hypothesen ganz klar, konkret, exakt, trennscharf und
unmissverständlich formuliert werden müssen. Wenn man nun aber
die Wissenschaften betrachtet, seien es Natur-, Geistes-, Sozial-
oder Kulturwissenschaften, oder wie man sie auch immer einteilen
und gliedern mag, dann muss einem auffallen, dass sie den
Menschen und die mit ihm untrennbar verbundenen Phänomene immer
besser mit zunehmendem Fortschritt in einem bestimmten
Geltungsbereich beschreiben können. Dabei aber geht Ganzheit
verloren, Divergenz tritt in Erscheinung. Und dies um so stärker,
je spezieller, kleiner, aber auch wirkmächtiger dieser
Geltungsbereich ist. Im Menschen aber wohnt die Sehnsucht nach
Ganzheit, da wir uns nur als ganz wahrnehmen, erfahren und
erleben. Die Symbole sind ein Rückweg zu dieser Ganzheit, von der
uns die Wirklichkeit immer mehr entfremdet. Wer also den Weg der
Wissenschaften geht, und das sollten wir unbedingt, der ist dazu
verdammt Ganzheit zu verlieren. Und der sollte sich auch darum
bemühen, diese wieder zu gewinnen, durch Glauben, Spiritualität
oder Ethik, durch Rituale, Symbole oder Bräuche. Denn sonst
bleibt eine Sehnsucht in ihm unerfüllt. Und Menschen mit
unerfüllten Sehnsüchten handeln nur selten human. Eher ergibt
sich in ihnen durch Frustration Aggression.


***


Die Freimaurerei erhält also einen bedeutsamen Teil ihrer Güte,
ihrer Qualität dadurch, dass sie ein Kontrast ist, in ihren
Mitteln, ihren Inhalten, ihren Themen, in ihren Menschen und
ihren Taten. Und die Kontrastierung macht bestimmte Phänomene
sichtbar. Einen Fehler aber sollte sie nicht machen, den Kontrast
um des Kontrastes wegen konstruieren. Denn Menschen oder Gruppen,
die dies machen, weisen im Kern meist eine substanzlose Leere
auf. Der Kontrast hat dabei lediglich die Funktion, dieses
Sinnesvakuum zu überdecken.


Eine besondere Stärke der Königlichen Kunst besteht in den
menschlichen Kontrasten, die sich in ihr abbilden. Denn wenn wir
uns auch auf der Winkelwaage begegnen, also ohne Ansehen des
sozialen Status, so bringen wir neben dem uns alle einenden
Genotyp der Humanität, nachdem wir alle gleich sind, auch deren
Phänotyp in die Maurerei mit. Und vom Phänotyp der Humanität her
könnten wir uns nicht stärker unterscheiden. Die Humanität hat
sehr viele Gesichter und viele davon kann man in der Freimaurerei
sehen. Der eine lebt sie so, der andere so. Beliebig wird sie
dadurch nicht. Und man kann diese Gesichter, diese
Erscheinungsformen des Menschlichen in der Freimaurerei nicht nur
sehen, man darf sie sogar berührend erkennen.


Genau das ist der angesprochene Unterschied zwischen Dualismus
und Dualität. Während im Dualismus eine Unvereinbarkeit besteht,
aus der nicht wirklich etwas Großes hervorgehen kann, gehen die
Unterschiedlichkeiten in der Dualität eine Verbindung ein, aus
der Neues erwachsen kann. Ich bin kein kirchlich, religiös oder
in Glaubensangelegenheiten gebildeter Mensch. Aber einige meiner
Brüder sind es. Ich erinnere mich sehr gerne an meinen Freund und
Bruder Winfried, der, so drücke ich es aus, die irdischen
Werkzeuge niedergelegt hat und in den ewigen Osten gegangen ist.
Er hätte es in maurerischer Terminologie genau so gesagt, aber er
hätte zusätzlich, da er von einem sehr tiefen katholischen
Glauben beseelt gewesen ist, vom Himmel gesprochen. Und gerade
solche Menschen und Brüder vermisse ich sehr. Was war es doch für
eine erhellende Freude, aus seinem Mund von den Büchern, Gedanken
und Vorstellungen zu hören, mit denen er sich auseinandergesetzt
hat. Ich selbst würde nie das Buch eines Kardinals oder eines
Papstes lesen. Einfach deshalb, weil mir solche Werke nichts
sagen können. Sie sind aber geschrieben von intelligenten und
weisen Menschen. Und es ist großartig, wenn man Brüder hat, die
einem diese Intelligenz und Weisheit in eine Sprache übersetzen,
der man folgen kann, auch wenn es an der eigenen Bildung dazu
mangelt. 


Die Fruchtbarkeit der menschlichen Kontraste in der Königlichen
Kunst besteht also in einem Nährboden, dem musivischen Pflaster,
auf dem Blumen Blüten treiben, die ohne sie nicht gewachsen
wären. Freimaurerei macht insofern die Welt durch den Ausgleich
zwischen Schwarz und Weiß nicht nur grau, sondern auch bunt.
Vielleicht, lieber Zuhörer, konnte ich ein wenig dieses positiven
Grau und der vielen Farben, die in der Wirklichkeit der
Freimaurerei schillern, auf diesem Spaziergang zum Ausdruck
bringen. Und möglicherweise werden Sie ja auch einmal zu einem
der Kontraste in der Königlichen Kunst. Vorher sollten sie aber
noch möglichst viele andere Kontraste kennenlernen, die in und
mit ihr gegeben sind. Und da Kontraste immer eine Frage der
Wahrnehmung bleiben, diese stets individuell ist, sollten sie
dazu andere Schwestern und Brüder bitten, von diesen zu erzählen.
Das werden sie gerne machen. Und Sie sollten, Ihr ernsthaftes
Interesse vorausgesetzt, dies auch vor Ort bei einem Gästeabend
in einer Loge machen. Ihr Glaube, wie auch immer er gelagert sein
mag, stellt keinen Ausschlussgrund dar.


***  ***  ***

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