Tania Hron: Nicht nachlassen

Tania Hron: Nicht nachlassen

Götter und Schriften rund ums Mittelmeer. Symposion in memoriam Friedrich Kittler | Symposium
40 Minuten

Beschreibung

vor 11 Jahren

Götter und Schriften rund ums Mittelmeer. Symposion in memoriam
Friedrich Kittler | Symposium


Fr, 19.10.2012 – Sa, 20.10.2012, ZKM_Medientheater


Angesichts der reichen Ernte an Texten, Studienpapieren,
Schaltplänen, Zettelkästen und Rechnern, die von Friedrich
Kittler teils als Vor-, später Nachlass im Deutschen
Literaturarchiv Marbach seit 2011 eingegangen sind, kann man
übersehen, dass erst einmal gestorben werden muss, um etwas zu
hinterlassen. Wie können wir von Friedrich Kittler Abschied
nehmen? Wie kann man sein Werk fortführen, ohne es sich
einzuverleiben?
Anlässlich dieses Symposions, dass Friedrich Kittler sich als
seinen großen Abschied gewünscht hatte, wollte er Position
beziehen zu einer „Herzensangelegenheit“, wie er 2010 in einem
Vortrag erklärte: Inwieweit die großen symbolischen und medialen
Systeme Schrift und Götter miteinander verbunden sind. Die nur
teilweise schriftlich ausgearbeiteten Vorstellungen zum Thema
finden sich an verstreuten Orten im Nachlass in Marbach und
Berlin: als Filmdokument, als Textfragment, als Notizen zur
Buchreihe Musik und Mathematik, von der zwei Bände zu Kittlers
Lebzeiten erschienen sind, hunderte Seiten Vorstufen des Projekts
sind auf dem Computer gespeichert. Was gibt es also in diesem
Nachlass?
Neben Texten in verschiedenen Stadien und Formen ist auch Einiges
an Film- oder Tonaufnahmen von Vorträgen, Interviews und
Gesprächen nach Marbach gelangt, das nicht schriftlich fixiert
vorliegt. Werden diese Dokumente nur aufbewahrt im Archiv oder
anders zugänglich gemacht? Zudem sind, anders als bei
üblicherweise an Archive übergebenen Nachlässen, mit den
Manuskripten nicht nur Möbelstücke, Brillen, Haarlocken nach
Marbach gelangt, sondern auch Programme und selbst gebaute
Hardware, die nicht einfach eine technische Spielerei Kittlers
darstellen, sondern den Kittlertext weiter schreiben.
Tania Hron berichtet aus dem Deutschen Literaturarchiv Marbach
und von dem Editionsprojekt Gesamtausgabe Friedrich Kittler.


Tania Hron, geboren 1975 in Berlin, studierte Kulturwissenschaft,
Neuere Deutsche Literatur und Europäische Ethnologie an der
Humboldt-Universität zu Berlin.
Seit 2004 war sie studentische Hilfskraft am Lehrstuhl von
Friedrich Kittler und arbeitete nach ihrem Abschluss als
persönliche Assistentin von Friedrich Kittler bis 2011.
Gegenwärtig bearbeitet Tania Hron den Nachlass von Friedrich
Kittler im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Des Weiteren
unterstützt sie Martin Stigenlin bei der Herausgabe der
gesammelten Werke Kittlers.


In seinem Lebenswerk hat Medientheoretiker Friedrich Kittler
(1943−2011), die Geschichte der Dichtung, der Philosophie, ja der
Kultur als solche vom Kopf auf die Füße ihrer technischen und
vortechnischen Medien gestellt. Was Aufschreibesysteme für die
Literatur, was Befehlssätze für programmierbare Maschinen, das
ist den Göttern das elementarste Medium im lateinischen Wortsinn
von elementa: Buchstaben. Das Symposion »Götter und Schriften
rund ums Mittelmeer«, noch zu Lebzeiten von dem deutschen
Medientheoretiker Friedrich Kittler selbst vorbereitet, widmet
sich dieser Hypothese. Wie bestimmen die Kontakte, Konkurrenzen,
Innovationen der verschiedenen Schriften und Alphabete seit der
frühesten Antike rund ums Mittelmeer die zukünftigen Geschicke
des Abendlands? Seit dem Neolithikum gibt es im Mittelmeerraum
Kulturen, deren Alphabete eng an Verwaltung und Handel,
Befehlsflüsse und Gesetze gebunden sind, aber auch eine Kultur,
die ihr Alphabet aus dem Schreiben von Musik und Gesangsvortrag,
Vers und Götteranrufung schöpft. Einige Schriften des Mittelmeers
− in Keilen, Bildschriftzeichen, Silbenschriften dargestellt −
sind graphisch orientiert. Sie schreiben von den Worten der
Sprache meist Konsonanten oder Konsonantengruppen. Andere, wie
das griechische Alphabet, das als erstes der Welt auch Vokale
schreibt, sind phonetisch orientiert und damit prinzipiell auf
jede Sprache übertragbar. Mächtige Gesetzesgötter einerseits
strafen und befehlen. Der Verkehr mit ihnen wird gesetzlich
geregelt. Andererseits gibt es Götter, die an- und abwesend sind.
Der Verkehr mit ihnen wird nicht verwaltet, sondern begangen. Wie
sind diese verschiedenen Ausgestaltungen der Götterwelten in den
Schriftsystemen widergespiegelt?

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