Stefanie Sargnagel - Iowa

Stefanie Sargnagel - Iowa

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Beschreibung

vor 8 Monaten

Stefanie Sargnagel ist eine lustige, 38-jährige Schriftstellerin
und Karikaturistin aus Wien. Keine dieser Aussagen wäre für mich
als Freund der Trennung von Künstlerin und Werk relevant, es sei
denn, die Autorin neigt zur Autobiografie - was die Sargnagel
tut. Die Benennung geschieht absichts- und respektvoll, wie bei
“der Dietrich”, denn die Sargnagel neigt zum Diventum, auch das
kaum wertend postuliert, zumal dieses modernst daher kommt - dazu
später mehr.


Dass sie lustig ist, ist mir die liebste Eigenschaft an Frau
Sargnagel. Wer sich in diesen Dingen gar nicht auskennt, bemerkt
das spätestens bei einer ihrer Lesungen, wenn, wie das in
Deutschland Sitte ist, die Mehrzahl der Zuschauer ihre
Humorkompetenz durch überhäufiges Lachen zur Schau stellen. Das
betreiben professionelle Lesungsbesucherinnen in verschiedenen
Sportarten: das laute Juchzen, wenn es ein wissendes Lächeln
getan hätte; das Weiterlachen, wenn alle schon aufgehört haben
(im verwirrten Glauben, der Autorin damit einen Extraboost an
Zuneigung überzuhelfen); die Unart des absichtlich deplazierten
Lachens, wenn nichts, weder intendiert noch zufällig, auch nur
ansatzweise lustig war, damit alle denken, sie hätten was
verpasst. Dazu gibt es das, verzeihliche, Lachen, wenn eine
Pointe erst zwei Sätze später ankommt. (Wir betreiben hier kein
earnest-shaming, you are safe, lieber Leser.) Das Ergebnis dieses
Unsinns ist, dass man kaum Zeit findet, der Frau auf der Bühne zu
lauschen. Wenigstens zeigt all das bekloppte Affektieren selbst
dem stockernstesten Leser, dass diese Stefanie Sargnagel wohl
lustig ist, wenn auch für den Preis, dass Herr Falschgold zu
dieser Folter nicht mehr hin kann.


Mein Eindruck bei einer dieser Lesungen hier in Dresden vor zwei
Jahren war, dass auch Frau Sargnagel diesen Quatsch nicht
braucht. Ich bin sicher, dass österreichische Lesungspublikum ist
leicht angenehmer, aber halt auch viel zu klein. Als
deutschsprachige Autorin muss man den großdeutschen
Wirtschaftsraum beackern, sonst kann man sich selbst die legendär
günstige Wiener Gemeindewohnung auf Dauer nicht leisten. So
dachte sich das, so vermuten wir, Stefanie Sargnagel, erschöpft
nach besagter Lesung. Wir hatten den Eindruck, sie schaute
zwischen den gelesenen Kapiteln voller Sehnsucht in Richtung
bühnenrechts, mittig, Reihe 20, in der sich eine Insel der
sanguinen Humorandacht inmitten des brüllenden Falschgelächters
behauptete, bestehend aus drei Rezensentinnen eines lokalen
Literaturnewsletters und -podcast. Anyway, erleichtert zurück in
Wien fand Frau Sargnagel im Briefkasten einen Brief aus Amerika,
enthalten die Einladung zu einer Gastprofessur an einem liberalen
College im Bundesstaat Iowa. Wow, eine weltweite Karriere war in
Aussicht, im reichsten Land der Erde. Gemeindewohnung gerettet!


War aber zu dem Zeitpunkt schon gar nicht mehr nötig, denn die
Künstlerin hatte damals schon soviel Reichtum angehäuft, dass sie
sich leicht verschämt eine Eigentumswohnung in der
österreichischen Hauptstadt gekauft hatte. Das ist kein
Richenshaming, es war ihr selbst ein wenig peinlich, es ist auch
kein papparazihaftes Stalking, denn, siehe oben, der Sargnagels
Ding ist das verschämt-stolze Divaing, wie sich das heute gehört
auf Insta, Millennialstyle FTW.


Damit haben wir auch die unelegante Alterserwähnung im ersten
Satz begründet. Es brauchte diese Präzision, gibt es nun mal
einen Unterschied, wie man Instagram & Co. betreibt, je nach
Grad des Fortschreitens der altersbedingten körperlichen und
geistigen Entropie - da ist das Baujahr wichtig.


Vielleicht hatte sich die Sargnagel damals auch nur angemeldet,
im Netzwerk der Eitlen, weil ein visuelles soziales Medium einer
Zeichnerin nun mal die bessere Plattform bietet als so ein olles
Blog. Und ja, ich habe oben Karikaturistin geschrieben, aber ich
bin sicher, dass sich Frau Sargnagel selbst eher als “Zeichnerin”
sieht. Aber das war mir nicht eindeutig genug im Einleitungssatz.
Zeichner können ja auch so leicht unlustige Leute sein wie
Picasso, Dürer oder George W. Bush, da wollte ich kurz und
leserfreundlich einordnen. Und der Sargnagel Meisterwerke sind
nun mal Karikaturen, wie diese hier, welche all meine
Zuschreibungen in der Einleitung zusammenfasst: lustig,
altersweise und wortgewandt präsentiert Stefanie Sargnagel diesen
Brüller:


Ick lach mir jedesmal schief, wenn ich mir den Quatsch vorstelle.
Er ist ein Kommentar zu den Irren in der Pandemie und damit wird
sie einerseits komplett falsch sein im landwirtschaftlichen
Redneck-Iowa (USA) und gleichzeitig genau richtig in der Oase des
dort mittendrin gelegenen Grinnell College for Liberal Arts. Auf
nach Amerika also!


Davon berichtet uns auf 300 Seiten die berühmte österreichische
Künstlerin. So wird sie am College immer wieder eingeführt, und
wer sind wir zu widersprechen. Es entspricht in etwa dem
Selbstwert, den sich die Sargnagel selbst zuspricht, natürlich
immer impliziert der Rückzieher: “Ist ja alles nur Ironie”. Damit
sich keine Selbstzweifel einschleichen, so ganz alleine in der
amerikanischen Pampa, hat sich die Amerikaentdeckerin Begleitung
organisiert: auf der Hinreise eine Freundin, auf der Rückreise
die Mutter. Da denkt jemand praktisch, wir diggen. (Sagt man das
noch?) Die Freundin ist ganz neu in Stefanies Leben, aber schon
ganz, ganz lange eine Begleiterin des unseren: die übercoole
Christiane Rösinger!!! WTF?!1! Lassie Singers,
Paarbeziehungsaufklärerin, coole Socke! Man hat sich gefunden wie
so zwei Magnethunde, beschreibt uns die Autorin kurz im ersten
Kapitel, und weil die Rösinger (auch eine Diva, nur anders!)
selbst ein Buch geschrieben hatte (nur halt schon 2012) darf sie
von unten aus den Fußnoten der Steffi den Blödsinn kommentieren.
Eine brillante Idee, man sieht die beiden vor sich, wie sie sich
ergänzen, die eine auf dem Sofa, die andere auf dem La-Z-Boy in
ihrer TV-zappenden Normalität und sich gegenseitig, wie
aufgewacht, anstachelnd, wenn sie gemeinsam einen Comedyclub
besuchen und “Den S**t können wir doch auch!” rufend, von unten,
sich nicht wohl fühlen inmitten des Fußvolks.


Wenn es nicht das erste Buch ist, welches man von Stefanie
Sargnagel liest, weiß man in etwa, was einen erwartet:
reflektierte Kommentare zur Zeit aus der richtigen politischen
und genderpolitischen Ecke, unterbrochen von schmerzlosem/-haftem
Exhibitionismus. Man will definitiv nicht ihr Freund sein und das
Buch lesen müssen, zu Hause geblieben, eine Kuschelkatze, wird
uns berichtet. Er muss lesen, wie die Sargnagel rollig um eine
Redneck-Barfly herumsteigt und innermonologisiert, worauf sie so
steht in Liebesdingen (Bärte, Behaarung überhaupt) und worauf
nicht (Vorspiel, Nachspiel). Zum Glück war er/sie schon zu breit,
zumal sie, auch das ohne Filter berichtet, ein Kind haben will,
und nicht nur so “haben wollen” sondern sehr, sehr dolle,
biologisch-seelisch müssen-haben-wollen, JETZT. Da darf man nicht
peinlich tun als Leser. Wenn die Autorin kein Problem damit hat,
werden wir nicht anfangen zu gringen.


Aber die Welt dreht sich natürlich nicht nur um die
Schriftstellerin, und so gibt sie einen amtlichen Reisebericht
ab. Ich war vor über 10 Jahren dort, in the USA, (also general
area, so 1500 km entfernt) und bin erschrocken, wenn man die
aktuelle Situation mal nicht aus Blog-/Zeitungs-/Feed-Sicht
beschrieben bekommt. Die USA versinken in Armut, Obdachlosigkeit,
Rassismus, Klassismus, und Sargnagels Beschreibung der Szenerie,
genauso filterlos vorgetragen wie die ihres Innenlebens,
schmerzt. Wie fast unschuldig das Land war, 2011 und wie
hoffnungslos es jetzt erscheint.


Da hilft auch die Mutter nicht, die im letzten Teil des Buches
die Tochter besucht. Eine toughe (ehemalige?) Sozialarbeiterin,
die gleich mal anzeigt, dass man sich auch vorbereiten kann auf
so einen Trip, Stichwort, Datenguthaben und verdient sich die
Zuschreibung Cyborg-Mom von der Autorin zur Recht. Aber selbst
der Mutter streetworker-toughness bricht im Angesicht des Elends
der Obdachlosen von L.A., des Unterschieds zwischen Arm und
Reich, der unüberbrückbar scheint.


Das lässt uns ein wenig traurig zurück, aber das muss manchmal
sein und macht ein Buch von einer lustigen Autorin nicht weniger
lesenswert. Viel blieb hier unerwähnt und harrt der fasst
spoilerlosen Entdeckung durch die Leserin: crazy Wokerei am
liberalen College, kulinarische Überraschungen, architektonische
Katstrophen, the Amish, falsche und richtige, der Rösinger
Altersweisheiten, der Sargnagel Jugendstil: es ist alles sehr,
sehr schön!


Und wer die Aufmerksamkeitsspanne nicht hat, geht halt zur Lesung
und lacht an den falschen Stellen. Das hält die Sargnagel aus.


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