Traumgekrönt XXII-XXVIII - Rainer Maria Rilke

Traumgekrönt XXII-XXVIII - Rainer Maria Rilke

9 Minuten

Beschreibung

vor 4 Jahren

Liebe Hörerinnen und Hörer!





In der heutigen Folge bringe ich euch die letzten Gedichte des
Gedichtezyklus "Traumgekrönt" von Rainer Maria Rilke. 


Ich hoffe euch in dieser schweren Zeit der Isolation etwas Freude
zu bringen.


XXII


Wie eine Riesenwunderblume prangt


voll Duft die Welt, an deren Blütenspelze,


ein Schmetterling mit blauem Schwingenschmelze,


die Mainacht hangt.





Nichts regt sich; nur der Silberfühler blinkt ...


Dann trägt sein Flügel ihn, sein frühverblaßter,


nach Morgen, wo aus feuerroter Aster


er Sterben trinkt ...





XXIII


Wie, jegliches Gefühl vertiefend,


ein süßer Drank die Brust bewegt,


wenn sich die Mainacht, sterbetriefend,


auf mäuschenstille Plätze legt.





Da schleichst du hin auf sachter Sohle


und schwärmst zum blanken Blau hinauf,


und groß wie eine Nachtviole


geht dir die dunkle Seele auf ...





XXIV


O gäbe doch Sterne, die nicht bleichen,


wenn schon der Tag den Ost gesäumt;


von solchen Sternen ohnegleichen


hat meine Seele oft geträumt.





Von Sternen, die so milde blinken,


daß dort das Auge landen mag,


das müde ward vom Sonnetrinken


an einem goldnen Sommertag.





Und schlichen hoch ins Weltgetriebe


sich wirklich solche Sterne ein, -


sie müßten der verborgnen Liebe


und allen Dichtern heilig sein.





XXV


Mir ist so weh, so weh, als müßte


die ganze Welt in Grau vergehn,


als ob mich die Geliebte küßte


und sprach: Auf Nimmerwiedersehn.





Als ob ich tot wär und im Hirne


mir dennoch wühlte wilde Qual,


weil mir vom Hügel eine Dirne


die letzte, blasse Rose stahl ...





XXVI


Matt durch der Tale Gequalmt wankt


Abend auf goldenen Schuh, - 


Falter, der träumend am Halme hängt,


weiß nichts vor Wonne zu tun.





Alles schlürft heil an der Stille sich. -


Wie da die Seele sich schwellt,


daß sie als schimmernde Hülle sich


legt um das Dunkel der Welt.





XXVII


Ein Erinnern, das ich heilig heiße,


leuchtet mir durch innerste Gemüt,


so wie Götterbildermarmorweiße


durch geweihter Haine Dämmer glüht.





Das Erinnern einstiger Seligkeiten,


das Erinnern an den toten Mai, -


Weihrauch in den weißen Händen, schreiten


meine stillen Tage dran vorbei ...


XXVIII


Glaubt mir, daß ich, matt vom Kranken,


keinen lauten Lenz mehr mag, -


will nur einen sonnenblanken,


gipfelroten Frühherbsttag.





Will die Lust, die jubelschrille,


nicht mehr in die Brust zurück, - 


will nur Sterbestubenstille


drinnen - für mein totes Glück.





Eure,


Barbara Marie-Louise Pavelka





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