Wer wir sein werden 1 Joh 3,1-2
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Beschreibung
vor 8 Monaten
Wer bin ich? Das ist vielleicht die existentiellste Frage, die
ein Mensch stellen kann. Ich kenne Menschen, die sich besser, und
solche, die sich weniger gut kennen.
Die sich besser kennen, wissen sowohl um ihre Schwächen als auch
um ihre Stärken. Und sie wissen um die Grenzen ihres Wissens von
sich selbst. Sie wissen, dass sie mehr sind, als was sie von sich
wissen. Wenn es gut geht, lernen sie sich ein Leben lang kennen.
Die sich nicht so gut kennen, haben Vorstellungen von sich, die
nicht der Wirklichkeit entsprechen. Und an denen sie nicht selten
ständig scheitern – zusammen mit ihren Nächsten, die gerne
wüssten, mit wem sie es zu tun haben.
Die Frage ist heute von besonderer Brisanz, weil es keinen
Konsens darüber mehr gibt, was eigentlich die Kriterien meines
Selbst-Seins sind. Was ist mir biologisch und biographisch
vorgegeben? Was obliegt meiner Wahl und meiner Freiheit, zu
entscheiden, einzuüben oder zu entwickeln? Was ist mir
andererseits durch fremde Meinung, gesellschaftliche Konvention
oder Zuschreibung auferlegt? Und was davon sollte ich annehmen
und was zurückweisen und ablegen?
Kann ich sein, was ich will? Oder soll ich wollen, was ich bin?
Die Frage „Wer bin ich?“ stellt sich jeder Mensch früher oder
später. Mit jedem geht sie irgendwie mit. Aber ausdrücklich wird
sie nur selten gestellt. An wen sollte man sie auch stellen? Weiß
ich nicht selbst am besten, wer ich bin?
Nicht unbedingt: Andere kannten mich schon, bevor ich mich
kannte. Und vielleicht werden andere mich noch kennen, wenn ich
mich selbst nicht mehr kenne.
Aber bin ich andererseits nicht oft genug auch verkannt worden?
Oder haben mich Menschen nicht manipuliert, bevormundet und
ausgenutzt, indem sie allzu genau zu wissen meinten, wer und wie
ich bin?
Die Offenbarung der Juden und Christen beschreibt den Menschen
als Wesen, das sich selbst angesichts eines Anderen kennen und
anzunehmen, lieben und hervorzubringen lernt. Nicht, indem er
sich narzisstisch im Anderen spiegelt und vor ihm ein Gesicht
macht, sondern indem er sich dem Anderen zu erkennen gibt und in
der Sicht des Anderen ein Gesicht bekommt.
Und das wird nicht nur von der Beziehung von Mensch und Mensch,
sondern auch von der Beziehung von Mensch und Gott gesagt. Denn
die versichtbart sich in der liebenden Beziehung eines Menschen
zu seinem Nächsten.
Wir sind, was wir sind, von Gott her, sagt die Schrift. Und wir
werden, was wir sind, zu ihm hin. Und das bedeutet ursprünglich
gerade nicht Gängelung, Bevormundung und Knechtschaft, sondern
Befähigung, Ermächtigung und Freiheit.
„Wir heißen Kinder Gottes“, sagt der Erste Johannesbrief, „und
wir sind es.“ Ursprünglich war das offensichtlich. Bis zu dem
Moment, in dem der Mensch meinte, sich vor Gott in Sicherheit
bringen zu sollen, und sich damit auch dem Blick entzog, der ihn
vollkommen kennt und liebt.
Jetzt ist es verborgen, sagt Johannes. Wer Gott nicht denken
kann, kann auch den Menschen nicht von Gott her denken. „Deshalb
erkennt die Welt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat.“
Aber einmal wird es offenbar werden. Wer liebt, erkennt den
geliebten Anderen. Und wer sich lieben lässt, weiß, wie es ist,
erkannt zu werden. Einer liebt und erkennt uns vollkommen.
Deshalb sagt Jesus: „Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen
mich.“
Dieses Gekanntwerden hat schon manchen durch tiefe Dunkelheiten
geführt. Einer davon ist Dietrich Bonhoeffer. Im Gefängnis
beginnt er ein bekanntes Gebet mit unserer Ausgangsfrage: „Wer
bin ich?“
Bin ich so, fragt er sich, wie die Leute meinen, dass ich bin?
Stark und sicher, mutig und entschieden, frei und vornehm? Oder
bin ich so, wie ich mich selbst wahrnehme? Schwach und ängstlich,
unverlässlich und unberechenbar, getrieben und richtungslos? „Bin
ich dieser oder jener?“, fragt Bonhoeffer zum Schluss und endet
vor dem, der ihn allein ganz kennt. „Wer ich auch bin, Du kennst
mich, Dein bin ich, o Gott! Amen.“
Fra’ Georg Lengerke
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