Bekämpft die Migrationspolitik die Überfremdung oder kann sie Migranten zu Mitbürgern und Mitbürgerinnen machen? – mit Christine Schraner-Burgener und Samir Jamaladdin
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vor 7 Monaten
„Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ (Max Frisch)
und als die Schweiz in der Krise der 70er Jahre diese
Arbeitskräfte nicht mehr brauchte, schickte sie über 300‘000 von
ihnen wieder zurück.
Der Filmemacher Samir Jamaladdin, der 24 Jahre auf seine
Einbürgerung hat warten müssen, „wurde durch die Umstände
radikalisiert: Ich hasste dieses Land so sehr, dass ich am
Schluss gar keine Lust mehr hatte, Schweizer zu werden.“ Später
wurde er aber durch einen „Verwaltungsakt glücklicherweise
Schweizer und heute bin ich tatsächlich glücklicher Schweizer“. –
Die für die schweizerische Migrationspolitik zuständige
Staatssekretärin Christine Schraner-Burgener, die ihre Kindheit
in Tokio verbrachte, hat „als Ausländerin in einem fremden Land
selbst die Erfahrung gemacht, wie man sich fühlt (..) und ich bin
dann mit 10 Jahren in die Schweiz gekommen und habe mich fremd
gefühlt“.
Entscheidet die Migrationspolitik über die Zukunft des
Rechtsstaates, wenn Rechtspopulisten die Zuwanderung zu ihrem
zentralen Anliegen machen? – Gemäss Samir gehe der Rechtsstaat
schon längst „in eine Richtung (..), das grundlegende
Menschenrecht zu beschädigen.“ Das sei „eine langfristige
Geschichte, die schon seit 70 Jahren andauert. (..) Die Leute,
die wir eingebürgert haben, können wir auch wieder ausbürgern.
Das widerspricht grundsätzlich der Idee, dass alle Menschen die
gleichen Rechte haben. (..) Seit den 60er Jahren bis jetzt“ gehe
das „eher in eine Richtung der Verschärfung. (..) In der Realität
sind die Gesetze, die wir jetzt haben, schärfer als damals, als
ich eingebürgert worden bin. (..) Diese Idee, eine Arbeitskraft
ist eine Arbeitskraft und eben kein Mensch, die ist eigentlich
schon tief, tief drinnen in der DNA der Administration, der
Gesetzgebung.”
Christine Schraner sieht hingegen im politischen Umgang mit der
Zuwanderung und insbesondere mit der Flüchtlingsfrage „eine
enorme Verbesserung. (..) Mit der Integration haben wir enorme
Fortschritte gemacht. Seit 2014 haben wir Integrationsprogramme.”
Sie weist darauf hin, dass die schweizerische Flüchtlingspolitik
besser funktioniere als in Deutschland, weil die Asylentscheide
„viel rascher“ erfolgen. “Da haben wir mit acht Ländern eine
Migrationspartnerschaft (..) und 65 Rückübernahmeabkommen, das
heisst, es funktioniert wirklich sehr gut. (..) Wir haben eine
sehr hohe Schutzquote von etwa 60%. Das heisst es kommen eher
die, die wirklich Schutz bekommen.“ Bezüglich der abgelehnten
AsylantragstellerInnen „konnten wir vorletztes Jahr 57%
zurückführen“, das sei „ungefähr dreimal mehr als der europäische
Durschnitt. (..) Ohne Ukrainekrieg hätten wir auch die
Migrationsbewegungen besser meistern können. (Mit der)
Kombination von 75‘000 UkrainerInnen, die in einem Jahr kamen,
plus noch 25‘000 Asylgesuchstellende, musste ich Platz finden für
100‘000 Personen. Im Jahr zuvor hatten wir 14‘000
Asylgesuche.“
Samir widerspricht mit den Erfahrungen aus seinem Bekanntenkreis:
“In der Realität sieht das für mich ganz anders aus. In der
Realität kenne ich Leute aus Afghanistan, die auch nach
Jahrzehnten immer noch nicht wissen, hin und zurück?”, ohne
offiziell arbeiten zu dürfen. Er führt das Gespräch zurück auf
die zentrale Frage des gesellschaftlichen Selbstverständnisses.
Seit Jahrzehnten sei „der Begriff ‘Überfremdung’ immer wiederholt
und immer wieder verwendet“ worden. „Kanada, die USA, Neuseeland
und Australien hätten sich schon immer „als
Einwanderungsgesellschaften“ gesehen, das sei „der entscheidende
Unterschied zwischen uns und diesen Staaten. (..) Die offizielle
Schweiz muss die Terminologie ändern. Erst wenn wir es geschafft
haben, dass wir sagen, ja wir sind eine Migrationsgesellschaft
und das ist gut so. So wie das Wowereit”, der homosexuelle
Bürgermeister von Berlin bei seinem coming-out “gesagt hat: Und
das ist gut so.”. Dem stimmt Christine Schraner zu: “Ja, das ist
gut so”.
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