Trafostation 21: Wir brauchen Bildung, die man brauchen kann.

Trafostation 21: Wir brauchen Bildung, die man brauchen kann.

mit Wolf Lotter und Christoph Pause
13 Minuten

Beschreibung

vor 6 Monaten
Hat die Verschulung des Bildungssystems Fließbandarbeiter:innen aus
uns gemacht? Über die Chancen durch humanistische Bildung sprechen
Wolf Lotter und Christoph Pause in der „Trafostation“. Kommt unsere
Bildung noch klar mit der Wirklichkeit? Wie unsere Vorstellungen
von Arbeit, Organisation, Gesellschaft und Menschen hänge auch das
Bildungssystem in der Vergangenheit fest, meint Wolf Lotter und
wirft einen Blick zurück ins Industriealter, als noch zwischen zwei
Sorten der Bildung unterschieden wurde: Einer Bildung für die
Eliten und einer für die Massen. Die eine und die andere Bildung
Neben der fachlichen Ausbildung ist bei den Eliten alles auf
Allgemeinbildung ausgerichtet, auf humanistische Bildung, das
Lernen lernen. „Es geht um das Erwecken von Neugierde und eine
Grundeinstellung, sich leicht auf Veränderung, Überraschung und
Innovation einstellen zu können“, betont der Publizist. Früher habe
diese Bildung den Leuten, die sie bekamen, langfristig einen Platz
am oberen Ende der Gesellschaft gesichert. Für alle anderen ging
Allgemeinbildung nur so weit, als sie die ihnen einmal zugewiesene
Arbeit erledigen sollten. Es gab humanistisch gebildete Eliten und
allgemein abgerichtete Massen, die sich bestens für kleinteilige
Arbeit in der Fabrik oder standardisierte Büroarbeit eigneten,
berichtet Lotter. Doch die Zeiten haben sich geändert. Und längst
gehören nicht nur Industriearbeiter:innen zu den Verlierern der
Transformation. Gesucht: Kontextkompetenz Es sind auch ihre
Nachfahren, die fleißig studiert haben und scheinbar über den
Problemen stehen. Wer Soziologie oder Kunstgeschichte studiert hat,
aber nichts über wirtschaftliche, technische, politische und
organisatorische Zusammenhänge ohne ideologische Scheuklappen weiß,
wer Zusammenhänge nicht verstehen und erklären kann, kurz, wer
keine Kontextkompetenz hat, ist und bleibt laut Lotter ein
Fachidiot. „Wer Zusammenhänge nicht verstehen und erklären kann,
wer keine Kontextkompetenz hat, ist und bleibt ein Fachidiot.“ Wenn
Programmierer:innen nur coden können oder Betriebswirt:innen nur
etwas über BWL wissen, zeige ihm das deutlich: „Die Verschulung des
Bildungssystems hat aus allen Fließbandarbeiter:innen gemacht, die
in ihren Silos dahinwursteln, aber nicht über den Tellerrand
schauen können.“ Die Fachidiot:innen seien heute Menschen mit
Diplom, aber ohne weitere Interessen. Es brauche nicht einmal
künstliche Intelligenz, um sie zu ersetzen: „Jede Form von
Fortschritt geht denen an den Kragen, die nur die eigenen vier
Wände ihres bescheidenen Wissens kennen.“ Offene Bildung, die den
Horizont erweitert Humanistische Bildung heißt nicht nur das Lernen
zu lernen, sondern auch die Welt verstehen zu wollen und
gelegentlich auch zu können. „Offene Bildung, die unseren Horizont
erweitert, statt Auswendiglernen und stures Fachwissen, das uns
einmauert“, fordert Lotter. Das sei allerdings schon weit
fortgeschritten, gut zu beobachten bei allen Berufsgruppen, sogar
bei Unternehmer:innen. Hauptsache, man gilt etwas in der Branche.
Hauptsache, man wird von Kolleg:innen bestätigt. „Die neue
Allgemeinbildung muss Zusammenhänge vermitteln, nicht bloß enges
Fachwissen.“ Selbstbestätigung ist Selbstbetrug. Wissen ist aber
kein Selbstzweck. Oder wie es der Schweizer Ökonom Gilbert Probst
gesagt hat: „Wissen ist die einzige Ressource, die sich vermehrt,
wenn man sie teilt.“ Die neue Allgemeinbildung muss Zusammenhänge
vermitteln, nicht bloß enges Fachwissen, meint Lotter. Es seien
nämlich diese neuen Zusammenhänge, die Kontextkompetenz des
Handelns und Denkens, die das Fachwissen erst nützlich machen. „Es
genügt nicht, etwas zu wissen, wir müssen auch wissen wollen, wozu
und für wen es gut ist“, stellt der Autor schließlich fest. Und
genau das sei dann Bildung. Eine Bildung, die man brauchen kann.

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