„Sind mündige Patienten ein Heilmittel für das kranke Gesundheitssystem?“- mit Jens-Ulrich Rüffer und Cindy Körner

„Sind mündige Patienten ein Heilmittel für das kranke Gesundheitssystem?“- mit Jens-Ulrich Rüffer und Cindy Körner

45 Minuten

Beschreibung

vor 6 Monaten

Patienten könnten als verantwortungsvolle Menschen mit maximal
möglicher Information gemeinsam mit ihren Ärztinnen und Ärzten
über ihre Behandlung entscheiden, anstatt wie so oft von „Göttern
in Weiß“ in einer hierarchischen Abhängigkeit als entmündigte
Objekte behandelt zu werden. Dieser Reformansatz „gemeinsamer
Entscheidungen“ verspricht nicht nur bessere
Behandlungsresultate, sondern könnte auch substanzielle
Einsparungen in den gesamten Gesundheitskosten ermöglichen. „Die
zentrale Idee dahinter“, so der habilitierte Onkologe
Jens-Ulrich Rüffer, der sich seit 20 Jahren ausschließlich
für diese Reform einsetzt, „ist, dass das Gesundheitssystem
versucht, alle möglichen Ressourcen zu nutzen, die wichtigste
aber außer Acht lässt: Patientin und Patient.“

Die Krebsforscherin Cindy Körner wurde von der eigenen
Brustkrebsdiagnose „von einer Sekunde auf die andere aus meinem
irrationalen Optimismus rausgerissen. (.. Ich wurde) so in einer
Beifahrerposition auf einen Höllenritt befördert, dass ich das
Gefühl hatte, ich kann gar nichts mehr tun (..) Das war für mich
eine ganz fürchterliche Erfahrung.“ In der Onkologie gebe es die
Tumorboards, von denen der Patient lediglich den
„Tumorboard-Beschluss präsentiert bekommt (..), aber die
Patientenperspektive ist in diesem Beschluss gar nicht
vorhanden.“

Körner erzählt von ihrer Großmutter, „die mit 92 eine
Brustkrebs-Diagnose bekommen hat“ und mit „der ersten Aussage in
der Klinik konfrontiert war: ‚Das müssen wir jetzt operieren‘,
und da sagte ich, das müssen wir jetzt nicht operieren, sie
möchte nicht operiert werden. Da kam nochmals: ‘Laut Leitlinien
müssen wir das jetzt operieren‘. Schließlich haben wir im Dialog
(..) eine gute Lösung gefunden. Sie hat dann eine
Antihormontherapie bekommen. Sie hatte eine sehr gute
Lebensqualität und war sehr erleichtert.“

Das Prinzip gelte aber, so Rüffer, nicht nur für die Onkologie,
sondern „das muss auf alle Bereiche umgesetzt werden (..) von der
Augenklinik bis zur Zahnklinik, das ist in jeder Situation
möglich. (..) Zu den Sparmöglichkeiten ist Rüffer „absolut davon
überzeugt, dass wir wirklich ca 10% einsparen (..) wenn man alles
zusammennimmt, geben wir in Deutschland mindestens 1,2 oder 1,3
Milliarden pro Tag aus für Gesundheit. (..) Wir machen Menschen
kompetent für ihre Erkrankung, sie verstehen, was habe ich und
was kann aber passieren. (..) Deswegen haben wir die Hauptkosten
gespart, weil wir 10% weniger Notfalleinweisungen haben, weil die
Menschen verstanden haben, was sie haben. (..) Wir gehen auch
davon aus, dass zB Herzkatheder, dass zB Knieoperationen,
Hüftoperationen geringer werden, wenn die Menschen wüssten, dass
sie erstmal mit anderen Mitteln das Gleiche erreichen könnten. Es
gibt aktuell eine Auswertung, die zeigt, dass bei Herzkathetern
(..) ein Drittel dieser Eingriffe in Deutschland passiert, ohne
dass die Patienten irgendein Symptom haben.“

Das gleiche erzählt Körner über ihre Großmutter: „Da wurde
natürlich die OP gespart (..) Zusätzlich wurde uns dann noch
‚nach Leitlinie‘ gesagt, wir müssen ein CT von der Lunge, von der
Leber und ein Knochenszintigramm machen, um Metastasen zu suchen.
Dann habe ich das in Frage gestellt und gefragt: ‘Was machen wir
dann mit dieser Information?‘. Dann wurde mir gesagt: ‘Dann
können wir einschätzen, ob sie vielleicht demnächst
gesundheitliche Probleme bekommt‘. Dann habe ich gesagt: ‘Sie ist
92, ja vielleicht bekommt sie demnächst gesundheitliche
Probleme‘. Dann haben wir uns auch dagegen entschieden.“

Rüffer: „Wir haben in Deutschland zu viele alte weiße Männer, und
ich gehöre auch dazu, und das sind die, die überhaupt nichts
verändern wollen. (..) Und wenn wir da nicht eine Allianz mit den
Patient-Innen hinbekommen, (..und) wenn wir uns vorstellen, dass
die Patientenvertretungen das genauso einschätzen wie ich, dann
haben wir nicht nur den Spareffekt, sondern wir haben deutlich
besser aufgeklärte Patienten.“

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