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Beschreibung
vor 5 Monaten
Heute bringen wir eine Erzählung zu Gehör, die nicht nur den
Autor selbst davon überzeugte, ab nun ein Schriftsteller zu sein,
sondern darüber hinaus „die Gestalt der Weltliteratur“ und den
„neuzeitlichen Begriff von Literatur überhaupt“ veränderte (so
Peter von Matt, der berühmte Literaturwissenschaftler). Es ist
ohne jeden Zweifel einer der bedeutendsten Texte des 20.
Jahrhunderts: „Das Urteil“.
Zu Beginn ist Georg Bendemann allein. Er reflektiert in offenbar
ruhiger Verfassung seine Beziehung zu einem guten Freund, dem er
soeben einen Brief geschrieben hat. Und er zeigt sich
rücksichtsvoll, verschweigt beispielsweise dem wenig
erfolgreichen Freund, wie gut sein eigenes Geschäft läuft, seit
er es „mit größerer Entschlossenheit“ führt und der Einfluss des
Vaters auf das Unternehmen schwindet. Darauf folgt ein
Zusammentreffen mit eben jenem Vater, und was wir hier lesen und
hören, hat es in sich. Es gleicht einer extremen Theaterszene.
Sprache, Verhalten, Gestik, Mimik – nichts, was von den
Streitenden stammt, passt zu dem jeweils anderen. Und die
Kommentare in Bezug auf den Vater („wenn er jetzt fiele und
zerschmetterte!“) – eigentlich aus Georgs Empfinden stammend –
wirken feindlich, ironisch, sarkastisch, überlegen, zynisch. Es
wirkt erschreckend und zugleich leicht berauschend, dieser Szene
zu folgen.
Im Hinblick auf die Deutung der Geschichte stellen sich einige
Fragen: Ist es wahrscheinlich, dass ein junger Mann, der seinen
Vater sehr stark ablehnt, ihn verhöhnt und „Komödiant“ nennt,
dessen Urteil folgt und Selbstmord begeht? Geht das erzähllogisch
auf, ist es psychologisch nachvollziehbar? Steht das, was viele
Germanisten seit Jahrzehnten verbreiten, überhaupt im Text? Nein.
Nichts davon. Kein Sprung ins Wasser, keine Sterbeszene. Rettet
sich Georg also? Steigt er an den schon zu Beginn erwähnten
grünen Anhöhen aus dem Fluss auf? Dies gliche einer Wiedergeburt
aus dem Fluss heraus, dem Grenzstrom zwischen Leben und Tod seit
mythischen Zeiten, in ein neues Leben hinein – mit Frieda, seiner
Geliebten, die der Vater natürlich auch ablehnt, beleidigte und
diskriminierte. Auch von Georgs Selbstrettung steht im Text kein
Wort. Doch es ist möglich. Und sowohl erzähl- als auch
psychologisch sinnvoll. Vielleicht fiel er auch gar nicht ins
Wasser, sondern auf den Boden der Brücke. Auch das bleibt offen.
Das Ende dieses einmaligen Textes bleibt ambivalent.
Franz Kafka schrieb „Das Urteil“ in einer Septembernacht des
Jahres 1912 und wird empathisch und mit stark vernehmbarer
schauspielerischer Energie vorgetragen von Stefan Nászay.
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