#209 Andreas Knie – Wir sind kein Autoland

#209 Andreas Knie – Wir sind kein Autoland

45 Minuten

Beschreibung

vor 5 Monaten

Wie bitte? Deutschland, kein Autoland? Andreas
Knie diagnostiziert: Deutschland war ein Fahrradland. Ein
Motorradland. Das Auto wurde für einen Österreicher erfunden, von
den Amerikanern in Masse produziert, in zahlreichen anderen
europäischen Ländern viel stärker verbreitet - bis Hitler kam und
das Auto zum Symbol für Fortschritt und Technologie erhob. Damit
begann eine nachholende Modernisierung. Erst in den 70ern im
Westen und in den 90ern im Osten kam Deutschland auf das Niveau
anderer Länder. Andreas Knie ist Mobilitätsforscher am
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und
Professor für Soziologie an der TU Berlin. Er sagt: Die
Nachhol-Dynamik wirkt bis heute und prägt unser irrationales
Verhältnis zu Auto und Mobilität.


Warum tun wir uns so schwer, eine Mobilität zu
denken - oder gar zu realisieren, die nicht das Auto in
den Mittelpunkt stellt? Andreas schildert, mit welchem Mindset
Politik und Verwaltung Verkehr planen. Im Verkehrsministerium
gibt es am Ende nur eine Wahrheit: Was fehlt, sind Straßen. Und
Brücken. Und noch mehr Straßen. Denn es gibt Lücken, überall
Lücken. Daher müssen wir bauen, bauen, bauen. Als wäre Mobilität
wie Wasser: Es kommt, es fließt, es wird immer mehr  - und
da kann man auch gar nichts tun, als es immer wieder in die
richtigen Bahnen zu lenken - und die Bahnen ständig zu
vergrößern. Wer Fakten, Wissenschaft, Empirie dagegen hält,
erntet ein beherztes „Glaube ich nicht“. Andreas’ Fazit: Wir
werden von Ideologen regiert.


Dabei gibt es Wandel, nur eben nicht in der
Politik. Die Mehrheit der Autofahrenden hat die Strecken
reduziert, vor allem aus Klimaschutz-Gründen. Und wenn die CDU im
Wahlkampf plakatiert: „Hände weg vom Auto!“, dann sieht Andreas
die Debatte auf dem richtigen Weg. Wenn das Auto nicht mehr
selbstverständlich ist, sondern begründet und verteidigt werden
muss, dann kann etwas neues entstehen.


Das Narrativ der Technologie Auto ist
auserzählt. Freiheit und Wohlstand waren seine Themen,
Vernetzung und Teilhabe. Fun fact: Die Scheidungsrate korreliert
mit der Anzahl der Autos; Beweglichkeit wirkt. Das neue Narrativ
der Mobilität: Autos schaden uns mehr als sie uns nützen. In
einer vernetzten Mobilität der Zukunft reichen 25% der heutigen
Autos, um ohne Einschränkungen mobil zu sein. Der Rest steht
herum, raubt Platz, dominiert unser Bild von Straßen, Städten und
Raum. In Berlin allein sind das 900.000 Fahrzeuge. Einfach
überflüssig. Aber wir glauben immer noch, uns würde etwas
weggenommen, wenn Parkplätze entfallen (Übersetze: Wenn wir Raum
für Menschen gewinnen), Fahrspuren aufgehoben werden
(Fahrradfahrende sicher unterwegs sein können), etc. Es ist ein
Prozess. Und er wird dauern. Aber er ist nicht mehr aufzuhalten.
In 15 Jahren, so die Einschätzung von Andreas, werden unsere
Städte anders aussehen als heute. Eben doch kein Autoland.


Zu Gast: Prof. Dr. Andreas Knie, Leiter der
Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche
Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für
Sozialforschung - WZB, Professor für Soziologie an der TU Berlin

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