Im Gespräch mit ... Mathias Brodkorb

Im Gespräch mit ... Mathias Brodkorb

1 Stunde 23 Minuten

Beschreibung

vor 4 Monaten

Es ist schon eine Weile her, dass die alte Punk-Parole (»legal,
illegal, scheißegal!«) sich Laut machte, gleichwohl scheint sich
auch unsere classe politique in einer großen Verwirrung zu
befinden, was den Geist der Gesetze anbelangt. Anders jedenfalls
ist nicht nicht zu erklären, dass man im Jahr 2021 ein Vergehen
namens Verfassungsschutz-relevante Delegitimierung des Staates
ersann - und zudem, anders als ehedem, da man sich auf
staatsfeindliche Gruppierungen fokussiert hatte, nun auch noch
Einzelpersonen zu Beobachtungsobjekten macht. Was aus derlei
unscharfen Rechtbegriffen erwächst, die auch Vorfälle »unterhalb
der Strafbarkeitsschwelle« erforschen, lässt dunkle Erinnerungen
an Orwell’sche Gedankenverbrechen und ein obrigkeitsstaatliche
Denken aufkommen. Dass nun ausgerechnet jene Institution, deren
Aufgabe es doch wäre, das Vornehmste dieses Staatsgebildes,
nämlich seine Verfassung zu schützen (und zwar auf die
diskreteste Art und Weise), sich als Akteur ins Tagesgeschehen
einmischt und munter ihre Weisheiten in die Welt hinaustweeted,
ist einigermaßen irritierend – umsomehr als derlei auf den
bürgerlichen Tod der Beobachtungsobjekte hinauslaufen kann. Und
so zitiert Mathias Brodkorb Toqueville, der schon im 19.
Jahrhundert die Logik des Cancelns als ›Vervollkommnung des
Despotismus‹ begriffen hat:


Du wirst dein Bürgerrecht behalten, aber es wird dir nicht mehr
nützen (…). Du wirst weiter bei den Menschen wohnen, aber deine
Rechte auf menschlichen Umgang verlieren. (…) Gehe hin in
Frieden, ich lasse dir das Leben, aber es ist schlimmer als der
Tod.‹


Die Beobachtungen, die Mathias Brodkorb (seines Zeichens
Sozialdemokrat und Ex-Finanzminister der Landesregierung
Mecklenburg-Vorpommern) in seinem Buch Gesinnungspolizei im
Rechtsstaat zusammengetragen hat, sind durchaus verstörend. Dabei
ist eine der großen Stärken, dass Brodkorb sich nicht nur mit den
Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes, rechts wie links,
ausgetauscht hat, sondern auch mit Mitarbeitern des
Verfassungsschutzes selbst. War letzteres nur unter konspirativen
Bedingungen möglich, so bezeugen diese Innenansichten, dass auch
langjährige Mitarbeiter der Entwicklung ihrer eigene Behörde
höchst kritisch gegenüberstehen können.


Mathias Brodkorb, studierter Philosoph und Gräzist, hat sich,
bevor er im Kabinett Sellering in Mecklenburg-Vorpommern zunächst
Kultur-, dann Finanzminister wurde, vor allem dem Kampf gegen
Rechts verschrieben. Derzeit ist er als Kolumnist für das Magazin
Cicero tätig.


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