Next Level Ablehnungstherapie als Alternative zum mobilen Arbeiten
8 Minuten
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Diese Seite ist Anliegen und Einladung zugleich. Stellen wir uns gemeinsam den unbequemen Wahrheiten. Wir richten den Blick nach vorn. Immer mit der Option auf ein tätiges Zusammenhandeln im Hier und Jetzt.
Beschreibung
vor 4 Monaten
Ein Schlüsselelement sowohl für das mobile Büro als auch für den
fliegenden Denkraum ist eine funktionsfähige Infrastruktur.
Wichtig erscheint mir, zwischen »funktionsfähig« und
»funktionstüchtig« zu unterscheiden. Während die
Funktionsfähigkeit die grundlegende Fähigkeit eines Systems
bezeichnet, seine Aufgaben zu erfüllen, geht die
Funktionstüchtigkeit noch einen Schritt weiter. Sie beinhaltet
Aspekte wie einfache Zugänglichkeit und Handhabung, die
Berücksichtigung des ökologischen Fußabdrucks und Kriterien, die
eine Anerkennung von Fortschritts im Sinne einer prosperierenden
Gesellschaft fördert. Prosperierend ist hier insbesondere
immateriell gemeint und deshalb wage ich, über die Frage
hinauszugehen, ob ich meine Zeit im Zug eher arbeitend am
Bildschirm oder fernfahrstarrend denkend verbringe.
Arbeit ist die tätige Auseinandersetzung mit der Welt.
Eine Bahnverbindung, die es mir ermöglicht, meinen Beitrag zu
leisten, auch wenn ich nur denke, setzt also eine
funktionstüchtige Infrastruktur voraus. Wie komme ich eigentlich
darauf?
Mein Auge blieb eben an einem Thread auf LinkedIn hängen. Martin
Blaschka stellte folgende Frage an sein Netzwerk.
Bist Du Team »Mobile Office« oder »Think Space«?
Die Frage schien ihn bei einer Bahnfahrt zu beschäftigen. Als
jemand, der vor rund 10 Jahren wöchentlich mit dem Zug zwischen
NRW und Baden-Württemberg pendeln durfte, trage ich viele
Enttäuschungen in mir, was die Infrastruktur betrifft. Erst im
Jahre 2023 verkündeten Deutsche Bahn und Telekom, der lückenlose
Ausbau entlang der Schiene käme voran – seit 2021.
Jetzt ist es nicht gerade beliebt, dass die Menschen im Zug
telefonieren. Im Auto ohne entsprechende Einrichtung ist das
sogar verboten. Hält sich nur niemand dran und viele gestresste
Pendler und Manager nutzen die Zeit hinter dem Steuer, um ihre
Rückrufliste abzuarbeiten. Um Telefonieren geht es heute
natürlich weniger. Wichtiger ist eine stabile und breitbandige
Internetverbindung. Was ich mir vor zehn Jahren so sehr gewünscht
hätte, war nicht etwas Strom, sondern genau dies. Ein Zug(ang)
zum Netz. Längst sprechen wir von einem normativen Bedürfnis. An
normalen Arbeitstagen sieht man mehr aufgeklappte Laptops im
Großraumwagon als Bilderbücher im Kinderabteil. Als jemand, der
noch mit dem in der Abbildung gezeigten Idyll einer Reise mit dem
Zug aufgewachsen ist, darf sich gelegentlich daran erinnern, dass
Reisen eigentlich erfunden wurde, um sich zu bilden. Es ist
schwerer geworden, sein Leben in vollen Zügen zu genießen,
während man in einem solchen sitzt.
Das bringt mich auf den Kommentar, den ich unter Martin Blaschkas
Beitrag hinterlassen habe. Ich paraphrasiere das hier mal.
Als Selbstständiger kann ich offen sprechen, ohne Sorge, dass die
Führungsebene auf LinkedIn mitliest. Die Bahn bietet mittlerweile
Möglichkeiten, Arbeit zu verdichten, indem sie Routinetätigkeiten
ermöglicht, die heute – eine Dekade zu spät – eigentlich
automatisiert oder verbessert gehören. Beispiele sind E-Mails,
die wie Chats genutzt werden, oder das Buchen von zuvor
hochgeladenen Belegen, wie für Clickworker gemacht.
Nach Jahren der Enttäuschungen habe ich erkannt, dass ich selbst
vor dem Bildschirm kaum zum Denken komme. Vielmehr begleiten mich
nun Bücher, die ich natürlich auch mit dem Tablet lese. Bücher
wie Goethe von Thomas Steinfeld muss man jedoch analog auf den
Tisch am Vierer-Fensterplatz gleiten lassen. Weniger aus
Koketterie. In einer Zeit, in der die Menschen nur noch
Überschriften lesen, halte ich diesen Move schon für eine
Bildungsoffensive.
Das Bild oben mit dem Buch von Goethe entstand übrigens in
unserer Küche an diesem Samstagvormittag und mir fällt gerade
auf, dass der Tisch ziemlich an den im ICE erinnert, was
vielleicht erklärt, warum ich hier gern sitze.
Auch rate ich dazu, sich mit Mindmapping zu beschäftigen. Das
geht im Kopf oder auf Papier mit Bleistift. Überhaupt das
visuelle Arbeiten – eben das Graphic Recording Deiner Gedanken –
hilft dem Unterbewusstsein, über zuvor angestellte Überlegungen
intensiver nachzudenken.
Um das kurz auf den Punkt zu bringen. Bewegungen von New Work und
die darin verschachtelte Selbstbestimmung unter Arbeit setzen
sich immer stärker durch. Die Bedürfnisse aus dem Jahr 2014
passen nicht mehr zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in
diesem Millennium. Die Gesellschaft ist schon wieder
weitergezogen, wenn die Telekom mit der Bahn die Korken knallen
lässt, weil die Funkmasten endlich stehen.
Martin Blaschka entscheidet sich auf kürzeren Strecken ohne
drängende Termine immer öfter dafür, den Laptop zugeklappt und
das Telefon stumm zu lassen. Da bin ich – wie oben beschrieben –
bei ihm. Er findet, dass diese Momente ihm oft ermöglichen,
aktuelle Sachverhalte klar zu reflektieren und anstehende
Entscheidungen gründlich durchzudenken. Diese Zeit fühlt sich
dann auch besser an als beim Durchforsten seines
E-Mail-Postfachs, das Schreiben von Dokumenten oder das Ärgern
über die dann doch noch gelegentlich mangelnde WLAN-Verbindung.
Ablehnungstherapie als Next Level radikaler Verbundenheit
Für weltoffene Geister hier noch ein ganz anderer Vorschlag.
Europameister im Bahnfahren könnten einmal folgende Anregung
ausprobieren.
Falls ihr einen Sitznachbarn habt, sprecht ihn doch einfach mal
an, ob man nicht gemeinsam ein sinnvolles Gespräch führen sollte.
Fragt am Tisch nach, ob Ihr bei Kartenspiel mitmachen dürft oder
habt selbst eines dabei. Vielleicht finde ich außerhalb der
Familie so jemanden, der mit mir Rommé spielt.
Rejection Therapy zählt zwar zum Formenkreis aus Maßnahmen zur
Selbstoptimierung, die mir längst fremd geworden sind. Doch liegt
auch eine Chance darin, weniger die Angst und Ablehnung
abzubauen, als vielmehr diese seltsame Kulturpraxis des sich
gegenseitigen Anschweigens in der Bahn. Aktuell trendet diese
Lebenspraxis. Ich muss das jetzt nicht passiv-aggressiv auslegen.
Indem man sich absichtlich Situationen aussetzt, in denen die
Wahrscheinlichkeit einer Ablehnung hoch ist, provozieren wir
allerdings, dass das Menschliche zutage tritt. Es geht darum,
sich aus der Komfortzone heraus zu bewegen und Resilienz
gegenüber Ablehnung zu entwickeln.
Wie wäre es, wenn wir gelegentlich wieder anerkennen, dass wir
radikal miteinander verbunden sind und unserer Gesellschaft auch
deshalb funktioniert, weil alle, die im Zug neben uns sitzen, ihr
Ding durchziehen. Alle, die uns auf Bahnsteigen begegnen, haben
Bedürfnisse und Emotionen und das ist so sehr menschlich, dass
wir den Unterschied, den wir machen würden, wenn es mit dem
Lächeln eines Fremden auf dem Flur, wo Du die Wartemarke löst,
beginnt.
Wir schauen den anderen Fahrgästen nur vor den Kopf, wenn dieser
nicht hinter einem aufgeklappten Laptop verschwunden ist. Das
beantwortet ganz sicher die Frage, ob ich das mobile Arbeiten
bevorzuge oder einfach mal in Gedanken versunken sein möchte. Für
mich gilt beides.
Und ich wünsche jedem die Kraft, der glaubt, sich wichtige
Abgabetermine aufnötigen zu lassen, weil Fahrtzeit gleich
Arbeitszeit ist.
Diese Form der irrationalen Verdichtung oder auch jedes
Multitasking der besten Version von uns selbst, sollte mal wieder
das alte Bilderbuch herausholen und entdecken, was Reisen einmal
war, als man mit dieser Tätigkeit noch nicht zur Arbeit fuhr.
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