«Kann der kolonial geprägte Rassismus in unserer Gesellschaft überwunden werden?» - mit Martin Dean und Rachel Huber
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vor 2 Monaten
Martin Dean hat die eigene kolonial-rassistisch geprägte
Familiengeschichte in seinem Roman «Tabak und Schokolade»
erzählt. Der Rassismus habe in seiner Kindheit «eine ganz andere
Ausprägung, als er heute hat. (..) Ich sehe, da ist ganz vieles
passiert. Ich war der einzige Junge nicht-weisser Hautfarbe und
da gab es immer andere Jungen, die riefen ‘Negerli, Negerli‘ (..)
und das wäre heute nicht mehr möglich. (..) Einer der Faktoren,
die mich ermutigt haben, ist (..) das globale Ereignis ‘Black
Life Matters‘. (..) Wir sind wehrhafter geworden gegenüber
Alltagsverletzungen».
Ist das Bewusstsein über die vielfältigen, auch gleichzeitigen
Formen der Diskriminierung – aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht,
Sozialstatus, Religionszugehörigkeit oder sexueller Orientierung
– stärker geworden? Rachel Huber ist nicht zuversichtlich, wenn
auch «wir als Gesellschaft schon so weit» sind, dass wir den
«direkten individuellen Rassismus (..) nicht mehr so» antreffen.
«Aber für mich ist das die Spitze des Eisbergs. Und alles, was
darunter kommt, sind Fragen von strukturellem, institutionellem,
indirektem und impliziten Rassismus (..) und das haben wir als
Gesellschaft noch gar nicht auf dem Radar».
Dazu Martin Dean: «Individualpsychologisch sind die meisten
Rassismen nicht bewusst», wenn die Leute «sich rassistisch oder
sexistisch» verhalten. «Nicht zufällig ist ‘Black Life matters‘
in der Nähe von ‘me-too‘ gewesen. Es sind eigentlich beides
Emanzipationsbewegungen». Hier sei aber in den letzten Jahren
«enorm viel passiert». Trotzdem, «was wir alle müssen, und da
würde ich mich als Mann wie auch als POC dazuzählen, wir müssen
uns den weissen Blick austreiben. Dieser Blick sitzt enorm tief.
(..) Ich glaube, dass wir da am Anfang stehen, uns überhaupt
bewusst zu werden, was Kolonialismus bedeutet. (..) Die
abwertenden Bilder des Fremden stammen aus dem Kolonialismus: Der
faule Schwarze, der minderwertige Inder, der unzurechnungsfähige
Indianer, das sind alles Kolonialismusbilder, die bis heute
wirksam sind. (..) Ohne Kolonialismus ist eine Beschreibung der
Globalisierung nicht möglich. Kolonialismus ist ein System, das
Wissen organisiert».
Das erklärt Huber wie folgt: «Das koloniale Unternehmen musste
legitimiert werden. Das waren ja alles Christen. Als Christen
durfte man ja diese Menschen nicht einfach unterwerfen oder
einfach töten (..) Also hat man halt eine Hierarchie entwickelt,
diese ‘Rassenhierarchie‘ (..) und dass wir sie (Sklaven) in
dieser Hierarchie ganz nach unten setzen, das ist der Trick der
Hautfarbe gewesen, (..) die schwarze Hautfarbe abzuwerten. Und so
konnte man als Christ mit gutem Gewissen diese Leute auch
versklaven und töten, weil man da nicht gegen die Heilige Schrift
verstossen hat. Das hat die Menschheit so geprägt, dass wir heute
noch denken, die weisse Hautfarbe ist besser als eine andere
Hautfarbe.»
Für die Zukunft ist Huber «nicht so optimistisch. (..)
Situationen, in denen Verunsicherung herrscht, sind erst recht
Situationen, in denen die Menschen anfangen, die sogenannten
‘Anderen‘, die Fremden zu Sündenböcken zu machen». – Ähnlich
argumentiert Dean: «Meine Angst ist auch, dass Rassismus als
Ausschlusssystem wieder funktionieren könnte (..) wenn ich die
rechten Politiker höre, Trump, Orban auch Vucic, dann
favorisieren die nicht von ungefähr eine ethnisch reine
Bevölkerung (..) Deshalb auch der Fokus auf die Migration».
Auf die frage, ob eine zu starke Moralisierung des Rassismus
Abwehr provoziert, entgegnet Dean: «Ich würde dafür plädieren,
zurückzugehen zum Argument, weil beide Ziele» Antirassismus und
Klima «haben einen Nutzen, den man auch beziffern kann» - Huber:
«Es ist viel zu emotionalisiert in beiden Kontexten, viel zu
politisiert.(..) Wir müssen nicht moralisieren, (..) wir müssen
uns an Gesetze halten in einem Rechtsstaat und an Menschenrechte,
die wir ratifiziert haben».
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