#220 Klaus Gestwa - Am Abgrund: Der russische Krieg in der Ukraine
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vor 2 Monaten
Wir müssen über den Krieg reden. Immer noch. Ein
Gegenwartsthema, wie aus einer vergangenen Zeit - und doch werden
gerade die Grundlagen für die Zukunft gelegt, in großem Maßstab.
Klaus Gestwa sagt: Seit Anfang 2023 erleben wir einen
Zermürbungskrieg, wie wir ihn eigentlich nur aus den beiden
Weltkriegen kannten, ergänzt um moderne Kriegstechnik und
Live-Bilder via Social Media. Eine Situation, mit der wir noch
gar nicht wirklich umgehen können. Klaus ist Professor an der
Universität Tübingen und leitet dort das Institut für
Osteuropäische Geschichte und Landeskunde.
Erste Frage: Wann wird das Kämpfen aufhören?
Klaus betont: Aktuell glauben beide Seiten, militärisch etwas
erreichen zu können. Die Einsicht „jetzt geht nichts mehr“ steht
noch aus. Insofern wird es 2024 nichts mit einer Waffenruhe. Er
betont aber auch, wer der Aggressor ist: Wenn Putin seine
Soldaten zurückzieht, wird der Krieg morgen vorbei sein. Der
Putinismus sieht das allerdings nicht. Die Einsicht in die
Notwendigkeit einer politischen Umkehr ist fern; der Herrscher im
Kreml wähnt sich auf einer historischen Mission. Insofern bleibt
als einzig plausibler Weg zu Waffenstillstand und Verhandlungen,
Russland militärisch mindestens auf Augenhöhe zu begegnen. Und
dann folgt ein sehr bitterer Verhandlungsprozess.
Die politischen Eliten Russlands haben sich hinter Putin
versammelt, so Klaus. Es ist Russlands Krieg, nicht
allein Putins. Entsprechend können wir von außen auch nur bedingt
einwirken, nur die Rahmenbedingungen setzen. Wer zwischenzeitlich
auf die russische Zivilgesellschaft gehofft hatte, muss erkennen,
dass sie sich im Würgegriff des Putin-Regimes befindet.
Propaganda wirkt eben und die Hoffnung auf gesellschaftliche
Gegenkräfte ist eine Illusion. Die Kreml-Eliten müssen einsehen,
dass Putin das Problem ist. Und das in so großer Zahl, dass sie
nicht direkt aus dem Fenster fallen.
Michael und Klaus diskutieren die absehbaren Konsequenzen
des Kriegs für die Opfer. Noch nie war eine so große
Fläche vermint wie heute in der Ukraine. Die Minen zu entfernen,
wird Jahre brauchen. Infrastruktur, Industrie, allein die
Umweltschäden sprengen unsere Vorstellungskraft. In der Ukraine
sind bereits heute größte Mengen unterschiedlichster Giftstoffe
aus Deponien und Industriebetrieben in die Umwelt geraten. Und
„in die Umwelt“ bedeutet am Ende „in die Menschen“. Hinzu kommen
die psychischen Folgen. Klaus zeichnet ein düsteres Bild von dem
Ausmaß an PTBS, der posttraumatischen Belastungsstörung. An ihr
leiden in und nach anderen Krieg ein Drittel der Soldaten und
Soldatinnen - und zahllose Zivilist:innen. Es wird eines
Kraftakts der Ukraine bedürfen, nach einem Waffenstillstand
wieder zu gesunden und als Gesellschaft auf Dauer lebensfähig zu
sein.
Zu Gast: Professor Dr. Klaus Gestwa, Direktor
des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde an
der Universität Tübingen
Die Universität Tübingen hat Prof. Dr. Klaus Gestwa mit
dem Preis für Wissenschaftskommunikation ausgezeichnet
(2/2024).
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