Brennende Bücher
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vor 4 Monaten
„Seit Bücher geschrieben werden, werden Bücher verbrannt.“ Sagte
Erich Kästner, dessen Bücher 1933 in Flammen aufgegangen waren,
25 Jahre später. Am 10. Mai 1958 erklärte er auf der Tagung des
Schriftstellerverbandes PEN: „Die Geschichte des Geistes und des
Glaubens ist zugleich die Geschichte des Ungeistes und des
Aberglaubens. Die Geschichte der Literatur und der Kunst ist
zugleich eine Geschichte des Hasses und des Neides.“
Wie wahr. Auf den biblischen Bericht von der – freiwilligen! –
Verbrennung von Zauberbüchern in Ephesus (Apostelgeschichte
19,19) beriefen sich in den folgenden Jahrhunderten immer wieder
gnadenlose Glaubenshüter, mit schrecklichen Folgen. Ein Beispiel
für sehr viele ist der Befehl des Erzbischofs von Toledo, 5.000
Bücher islamischer Theologie einschließlich Koran, sowie
Philosophie, Geschichtsschreibung und Naturwissenschaften zu
verbrennen. Das war 1499, nachdem die islamischen Mauren aus
Andalusien vertrieben oder zwangsgetauft worden waren. In
Heinrich Heines Tragödie „Almansor“ (1823) bezieht sich der Maure
Hassan darauf: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher /
Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“
Aber auch aus politischen und moralischen Gründen landete
Schriftliches im Feuer. Das zieht sich vom antiken China über
muslimische Eroberer im Mittelalter in Indien, die Zeugnisse des
Buddhismus verbrannten, über Mongolen, die wiederum islamische
Bücher verbrannten. Während der Französischen Revolution
verbrannten die Jakobiner royalistische Bücher. Tonnenweise als
verwerflich erachtete Literatur samt Bleidruckplatten wurde ein
Raub der Flammen durch die 1873 in den USA gegründete
„Gesellschaft zur Bekämpfung des Lasters“. Noch 1965 verbrannten
junge Menschen, die „Entschieden für Christus“ kämpfen wollten,
unter Berufung auf Apostelgeschichte 19,19 in Düsseldorf
öffentlich „Schund- und Schmutzliteratur“, aber auch Bücher von
Albert Camus, Günter Grass, Françoise Sagan, Vladimir Nabokov und
– kaum zu glauben! – Erich Kästner.
Er stand unter den Zuschauern, als am 10. Mai 1933 kurz vor
Mitternacht in Berlin der Scheiterhaufen entzündet wurde. Er war,
als einziger betroffener Autor, Zeuge, als seine Bücher ins Feuer
flogen. begleitet von dem Geschrei der sogenannten
Feuersprüche:
Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und
idealistische Lebenshaltung!
Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky.
Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in
Familie und Staat!
Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann,
Ernst Glaeser und Erich Kästner.
Gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat, für Hingabe an
Volk und Staat!
Ich übergebe der Flamme die Schriften von Friedrich Wilhelm
Foerster.
Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für den
Adel der menschlichen Seele!
Ich übergebe der Flamme die Schriften von Sigmund Freud.
Gegen Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer
großen Gestalten, für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit!
Ich übergebe der Flamme die Schriften von Emil Ludwig und
Werner Hegemann.
Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung,
für verantwortungsbewusste Mitarbeit am Werk des nationalen
Aufbaus!
Ich übergebe der Flamme die Schriften von Theodor Wolff und
Georg Bernhard.
Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für
Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit!
Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria
Remarque.
Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache, für Pflege
des kostbarsten Gutes unseres Volkes!
Ich übergebe der Flamme die Schriften von Alfred Kerr.
Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem
unsterblichen deutschen Volksgeist!
Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und
Ossietzky!“
Im Fokus der „Aktion wider den undeutschen Geist“ standen die
bedeutendsten Dichter der Zeit: Bertolt Brecht, Alfred Döblin,
Lion Feuchtwanger, Ernest Hemingway, Irmgard Keun, Jack London,
Arthur Schnitzler, Anna Seghers, Arnold Zweig, Stefan Zweig,
ebenso Journalisten wie Egon Erwin Kisch und viele, viele andere
politisch unliebsame, oppositionelle, pazifistische, jüdische und
marxistische Autoren. An 22 deutschen Hochschulorten verbrannten
an diesem Tag Tausende Bücher. Allein in Berlin landeten etwa
20.000 Bände auf dem brennenden Holzstoß.
Die Initiative kam von der akademischen Jugend, die das Ganze
wochenlang vorbereitet hatte. Der Berliner Bibliothekar Wolfgang
Herrmann erstellte „schwarze Listen“, die dann fortlaufend
ergänzt und erweitert wurden. Auf dieser Grundlage raubten ab 6.
Mai studentische Stoßtrupps Buchhandlungen und Leihbüchereien
aus. Auf Lastwagen, in Autos oder Möbelwagen, auf Viehwagen oder
Ochsenkarren schafften sie Bücher herbei. Schon ab Mitte März kam
es in deutschen Städten zu Bücherverbrennungen. An insgesamt rund
90 Orten, nicht nur Universitätsstädten, brannten in Deutschland
Bücher, die Aktionen zogen sich bis in den Herbst 1933.
Die Literaturwissenschaftlerin und Publizistin
Inge Jens (1927-2021) erklärte: „Deutsche Studenten bemühten
sich, den Nationalsozialisten zu zeigen, dass Verlass auf sie
sei.“ Die organisierte „Deutschen Studentenschaft“ galt schon
während der Weimarer Republik als reaktionär, nationalistisch und
antisemitisch. Inge Jens: „Der 10. Mai 1933, an dem die junge
Mannschaft auszurotten begann, was ihrer Vorstellung von einer
deutschen Revolution zuwiderlief, war in der Republik von Weimar
gründlich vorbereitet worden.“
Viele Studenten marschierten in SA-Uniform oder im vollen Wichs
ihrer Verbindungen zu den Scheiterhaufen. Und die Professoren –
Germanisten, Philosophen, Kunsthistoriker – machten in großer
Zahl bereitwillig mit, hielten Feuerreden im Talar und mit
Barett. Der politische ranghöchste Germanist Deutschlands hatte
seinen Auftritt am 10. Mai kurz in Berlin:
Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, ein Doktor der
Philosophie, wie Erich Kästner feststellte, forderte die
deutschen Studenten auf, „den deutschen Geist zu verbrennen. Es
war Mord und Selbstmord in einem. Das geistige Deutschland
brachte sich und den deutschen Geist um.“
Ab 1935 erschien regelmäßig eine „Liste des schädlichen und
unerwünschten Schrifttums“, die schließlich 12.400 Titel und das
Gesamtwerk von 149 Autoren umfasste.
Ein antifaschistischer Autor, 1933 bereits im österreichischen
Exil, gewann nach einer Zeitungsmeldung den Eindruck, seine
Bücher seien nicht dem Zerstörungswerk zum Opfer gefallen (was
nicht stimmte). Oskar Maria Graf veröffentlichte umgehend in der
Wiener Arbeiter-Zeitung den Protest: „Verbrennt mich!“ Dort heißt
es:
Das Dritte Reich hat fast das ganze deutsche Schrifttum von
Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der wirklichen
deutschen Dichtung, hat die größte Zahl seiner wesentlichsten
Schriftsteller ins Exil gejagt und das Erscheinen ihrer Werke in
Deutschland unmöglich gemacht. Die Ahnungslosigkeit einiger
wichtigtuerischer Konjunkturschreiber und der hemmungslose
Vandalismus der augenblicklich herrschenden Gewalthaber versuchen
all das, was von unserer Dichtung und Kunst Weltgeltung hat,
auszurotten und den Begriff ‚deutsch‘ durch engstirnigsten
Nationalismus zu ersetzen. Ein Nationalismus, auf dessen
Eingebung selbst die geringste freiheitliche Regung unterdrückt
wird, ein Nationalismus, auf dessen Befehl alle meine aufrechten
sozialistischen Freunde verfolgt, eingekerkert, gefoltert,
ermordet oder aus Verzweiflung in den Freitod getrieben werden!
Und die Vertreter dieses barbarischen Nationalismus, der mit
Deutschsein nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat,
unterstehen sich, mich als einen ihrer ‚Geistigen‘ zu
beanspruchen, mich auf ihre sogenannte ‚weiße Liste‘ zu setzen,
die vor dem Weltgewissen nur eine schwarze Liste sein kann! Diese
Unehre habe ich nicht verdient! Nach meinem ganzen Leben und nach
meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, daß
meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet
werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne
der braunen Mordbande gelangen!
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