Long Covid: Leben am Nullpunkt

Long Covid: Leben am Nullpunkt

38 Minuten

Beschreibung

vor 1 Monat

Long Covid hat ihr Leben komplett verändert: Die St.Gallerin
Eveline Strübi kann seit über zwei Jahren weder arbeiten noch
Hobbies ausüben oder Musik hören. Ihre Arbeitsstelle im Kanton
St.Gallen hat sie verloren und auch die Invalidenversicherung
springt nicht ein. Was ihr dennoch Hoffnung gibt, erzählt sie im
Fadegrad-Podcast.


Die St.Gallerin ist eine von geschätzt 300.000 Personen in der
Schweiz, die an Long Covid erkrankt sind. Long Covid -
Definition


Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Long Covid eine
Langzeitfolge der Coronavirus-Krankheit mit unterschiedlichen
Symptomen wie Schäden in Lunge, Herz, Nieren und Gehirn über
Entzündungsreaktionen, Blutungsstörungen oder Atemnot,
Erschöpfung/extreme Müdigkeit, Schmerzen sowie neurologischen
Störungen. Noch liegt keine einheitliche Definition für Long
Covid vor, jedoch spricht man meist davon, wenn die Symptome mehr
als 12 Wochen andauern.


Dauerkrise seit zwei Jahren


«Es war ein schleichender Prozess, wo ich nach einem eigentlich
milden Verlauf merkte, dass die Kraft nicht zurückkam, sondern es
mir immer schlechter ging – bis es zu einem körperlichen
Zusammenbruch geführt hat». Über Wochen konnte Eveline Strübi nur
Liegen, selbst der Gang aufs WC wurde zu einem schier unmöglichen
Kraftakt, der ihren Körper unheimlich anstrengte. Seitdem ist sie
mehr oder weniger in einer «Dauerkrise», wie sie sagt. «Das
intensiviert die nachdenklichen Phasen, wie auch die genussvollen
und freudigen Momente».


Long Covid ist eine Krankheit, die durch Ausschliessen anderer
Krankheiten diagnostiziert wird. Bei Eveline Strübi dauerte es
vier Monate, bis sie Gewissheit hatte. Als sie nach zwei Jahren
Krankschreibung im Mai 2024 gekündigt wurde, sei dies eine sehr
schmerzliche Erfahrung gewesen. Als Fachmitarbeiterin im Amt für
Soziales des Kantons St.Gallen habe sie ihren Beruf zehn Jahre
lang mit viel Freude ausgeübt. Zwar habe man sich im Amt für ihre
Weiterbeschäftigung eingesetzt, «aber es gab keine Bereitschaft,
eine gemeinsame Lösung zu suchen: Die Departementsvorsteherin hat
entschieden, keine Hand zu bieten und mich zu kündigen».


Auch die Invalidenversicherung (IV) sprang nicht ein. Ein
endgültiger Entscheid stehe zwar noch aus, doch das von der IV
erstellte Gutachten werfe ihr Simulation und Arbeitsverweigerung
vor, so Strübi. «25 Jahre lang habe ich gerne gearbeitet und in
die IV einbezahlt. Wenn ich jetzt Phasen habe, in denen ich
wieder nur liegen kann und sonst nichts machen, frage ich mich
schon: Wer kommt auf die Idee, dass man das will?»


Laut dem Verein Long Covid Schweiz sind 75 Prozent der Long Covid
Betroffenen nach sechs Monaten immer noch krank und nicht
arbeitsfähig, doch nur weniger als 5 Prozent erhalten eine
IV-Rente. «Das sind oft Menschen, die kurz vor der Pensionierung
stehen», weiss Strübi. Sie geht nicht davon aus, ein Leben lang
an Long Covid zu leiden. «Für mich geht es um eine finanzielle
Überbrückung. Denn mir ist klar: Das Virus hat meinen Körper so
durcheinander gebracht hat, dass ich Zeit brauche, um wieder
gesund zu werden». Von anderen Betroffenen habe sie erfahren,
dass es oft nach drei Jahren Erkrankung eine signifikante
Besserung gebe – und hofft, dass es auch bei ihr so ist.


Was Kraft in der Krankheit gibt


Kraft in der Krankheit geben ihr der Freundeskreis und die
Familie sowie die geistliche Begleitung durch eine Seelsorgerin.
«In den Gesprächen hat alles Platz». Die Studentin an der
Theologischen Hochschule Chur habe noch nie an Gottes Existenz
gezweifelt, aber die Gerechtigkeit im Leben schon oft
hinterfragt. «Ich lasse alle Fragen zu. In meinen Gebeten gibt es
kein Tabu zwischen Gott und mir. Ich spreche meine Freude, aber
auch mein Leiden aus», so Eveline Strübi. «Immer wieder mache ich
die Erfahrung, wie heilsam das ist.»


Auf Instagram schreibt sie unter dem Namen @lebenamnullpunkt über
Spiritualität im Kranksein.

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