Die langen Schatten des Ersten Weltkriegs – Teil 5 | Von Wolfgang Effenberger
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vor 2 Monaten
Teil 5: Die kurze Halbwertszeit von Kriegsplänen
Deutschland stolpert in den Krieg
Ein Kommentar von Wolfgang Effenberger.
In den vorangegangenen Artikeln wurden vor allem die
politisch-diplomatischen Facetten des anscheinend unaufhaltsamen
Wegs in den Ersten Weltkrieg aufgezeigt. Nun soll mit der
Darstellung des deutschen Angriffs auf die von 12 Festungsanlagen
geschützte belgische Stadt Lüttich Einblick in den generellen
Wahnsinn und die vollkommene Absurdität eines Krieges vermittelt
werden. Jedes rationale Denken löst sich im Pulverdampf auf.
Darauf hat schon der preußische Heeresreformer,
Militärwissenschaftler und Kriegsphilosoph Generalmajor Carl von
Clausewitz (1780-1831) hingewiesen. Für ihn führen Friktionen,
etwa Verzögerungen, Fehler und Missverständnisse, zu
„Abweichungen“ von akribischen Kriegsplanungen.(1)
Der "Handstreich" auf Lüttich
Am ersten August-Wochenende 1914 zogen über Deutschland
bedrohliche Wolken auf. In Grenznähe stationierte Truppen wurden
alarmiert sowie Posten an wichtigen Verkehrsknotenpunkten, z.B.
Bahnhöfen, Brücken und Nachschubrouten, in Stellung gebracht.
Dem in Hannover stationierten Generalkommando des X. Armeekorps
wurde vom Großen Generalstab eine höchst geheime "Denkschrift"
ausgehändigt. Darin wurde dem Kommandierenden, General der
Infanterie Otto von Emmich, die Aufgabe übertragen, Lüttich für
den Fall der Weigerung Belgiens, Deutschland den Durchmarsch des
deutschen Heeres zu gestatten, im Handstreich zu nehmen. Der
Generalstab rechnete mit einer Bereitstellung des belgischen
Heeres südlich von Brüssel oder bei Namur - ein Eingreifen bei
Lüttich wurde für wenig wahrscheinlich gehalten.(2) Die belgische
Operationsfähigkeit wurde von den Planern für die ersten
Mobilmachungstage als gering eingeschätzt. Die Friedensbesatzung
der Festung Lüttich mit ihren Forts bzw. Fortins wurde auf 6.000
Soldaten geschätzt, im Kriegsfall rechneten die deutschen
Generalstabsoffiziere mit 19.000 Mann zuzüglich 3.000 Angehörigen
der nur für Hilfsdienste hinter der Front verwendbaren "Garde
Civique".
Am 2. August 1914 trat in Quedlinburg um 15.00 Uhr das 1. und 2.
Bataillon mit der Maschinengewehrkompanie feldmarschbereit auf
den Kasernenhof. Nach der Rede des Oberst von Oven, Kommandeur
des Infanterieregiments 165 (ca. 1.500 Soldaten), segnete der
Garnisonsgeistliche die Truppe. Um 20.30 Uhr stand das 1.
Bataillon unter klingendem Spiel am Marktplatz, um vom
Oberbürgermeister verabschiedet zu werden. Um 22.40 Uhr war
dieser Kampfverband bereits verladen und der Zug rollte an. Doch
wohin? Die Soldaten kannten den Zielort nicht. Doch bald merkten
sie, dass es in Richtung Westen geht. Knapp drei Stunden später
folgte der Regimentsstab mit Oberst von Oven, dann das 2.
Bataillon unter Major Graf v. Matuschka mit der
Maschinengewehrkompagnie. Um 03.20 Uhr folgte das 3. Bataillon
unter Major von Saldern.
Kaum am Bahnhof in Aachen angekommen, erhielt die Truppe schon
die Befehle für die nächsten 24 Stunden, samt Antreten am Morgen
des 4. August 1914.
Inzwischen war auch der Stab des X. Armeekorps aus Hannover in
Aachen eingetroffen. Der Befehls-haber all dieser rasch an die
Grenze geworfenen sechs Infanteriebrigaden (3) (in Summe ca.
18.000 Mann) - jede mit Artillerie und anderen Waffen ausgerüstet
- und drei Kavalleriedivisionen(4) (in Summe ca. 30.000 Mann),
General Emmich, samt einem kleinen Teil seines Korpsstabes, hatte
den Standort Hannover unauffällig verlassen und war mit dem Auto
nach Aachen gefahren.
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