Im Gespräch mit ... Matthias Riedl

Im Gespräch mit ... Matthias Riedl

45 Minuten

Beschreibung

vor 2 Monaten

Vielleicht ist das größte Rätsel der Gegenwart, dass die
entscheidenden, lebensprägenden Dinge sich unbewusst einhausen –
in einem solchen Maße, dass man nicht einmal mehr zur Kenntnis
nimmt, dass die eigene Lebensführung nicht auf bewusste
Entscheidungen zurückgeht, sondern den Gewohnheiten geschuldet
ist. Das altgriechische díaita bezieht sich folglich nicht auf
die Ernährungsweise, sondern ganz allgemein auf die Lebensführung
– wovon die Diäten, die wir unseren Abgeordneten gönnen, einen
Widerschein liefern. Umgekehrt läuft der Gedanke, dass man die
Lebensführung von der Ernährung abkoppeln kann, ja, dass diese
eine Art Sondersphäre darstellt, auf eine Form der Verdrängung
hinaus. Dass die großen Lebensmittelkonzerne sich dies zunutze
gemacht haben, indem sie die Konsumenten mit
geschmacksverstärkten, überzuckerten, billig hergestellten und
durchweg kommodifizierten Lebensmitteln beliefern, mag der Logik
des Kapitalismus geschuldet sein, erstaunlicher ist, dass auch
die Medizin, die mit den fatalen Auswirkungen des täglichen junk
foods zu tun hat, die Lebensführung ihrer Patienten aus dem Blick
verloren hat. Ein Grund dafür ist gewiss die Spezialisierung, die
den Wissenschaftsphilosophen Nicholas Murray Butler zu der
treffenden Beobachtung veranlasst hat:


Ein Experte ist jemand, der immer mehr über immer weniger weiß,
bis er alles über nichts weiß. (Nicholas Murray Butler)


Weil auf diese Weise der Patient (als ganzheitliches Wesen) aus
dem Blick gerät, sind die Mediziner rat- und hilflos, was die
Ausbreitung der Zivilisationskrankheiten anbelangt, oder wie man
vielleicht eher sagen müsste: der Konsumkrankheiten. Denn
zunehmend betreffen diese nicht bloß die fortgeschrittenen
Alterskohorten, sondern auch Jüngere, ist es nicht selten, dass
bereits Kinder unter Rheuma, Diabetes und Bluthochdruck leiden.
Um dem entgegenzuwirken, hat der Diabetologe Matthias Riedl in
den 90er Jahren das medicum Hamburg gegründet und später eine
Fernsehsendung ins Leben gerufen, die, in höchst populärer Form,
versucht, die Konsumenten daran zu erinnern, was sie tagtäglich
zu sich nehmen – und welch fatale Wirkungen dieser wohlige
Konsumismus auf ihre Gesundheit hat. Hat man im Marketing die
Heldenreise C.G. Jungs auf den Konsumenten übertragen, so besteht
die „Küchenpsychologie“, die Matthias Riedl gemeinsam mit seinen
Kollegen, den »Ernährungs-Docs« anwendet, darin, die betreffenden
Personen zu ermutigen, ihr Leben wieder in die eigenen Hände zu
nehmen, sich gesund und bewusst zu ernähren. Nun ist eine solche
Lebensveränderung, die man neumodisch „Selbstwirksamkeit“ nennen
mag und die ein Mediziner wie Matthias Riedl als „artgerechte
Ernährung“ bezeichnet, schon seit Kant die Aufgabe aller
Aufklärung gewesen: die Befreiung des Menschen aus seiner »selbst
verschuldeten Unmündigkeit«. Und ist das wirklich so schwierig?
Vielleicht, und hier mag das Missverständnis aller Volksbeglücker
gewesen sein, beginnt diese Befreiung nicht damit, dass man sich
in irgendwelche Ideologien versteigt, sondern dass der erste
Schritt in die Mündigkeit den Betreffenden in die eigene Küche
hineinführt. Also dann, guten Appetit!


Matthias Riedl fokussierte sich nach anfänglicher
journalistischer Arbeit auf die Medizin und leistete hier, mit
der Gründung des medicum Hamburg, Pionierarbeit. Einer breiteren
Öffentlichkeit wurde er durch die TV-Serie “Die Ernährungs-Docs”
bekannt, welche die in der praktischen Arbeit gewonnenen
Einsichten in einem erfolgreichen Fernsehformat umsetzte.


Von Mattias Riedl sind erschienen:


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