Biennale 2024
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vor 3 Monaten
Was Kunst ist, darüber wird gestritten, seit in einer Höhle in
der Nähe von Chauvet im heutigen Frankreich, UggoUggo, der
Höhlenzeichner, der die Pferde so toll malen konnte, dass sie im
Schein des Lagerfeuers zu laufen begannen, dem GrakhGrakh
erklärte, dass es nicht reiche, einfach seine Hände in roten Lehm
zu patschen und hinterher an die Wand. Das mit ihm einfach nichts
geschehe, meinte UggoUggo, beim Betrachten dieser sinnlosen
Handabdrucke, Grakh solle das bitteschön zu Hause in seiner
f*****g Höhle machen und nicht hier in der Gemeinschaftsgrotte,
und die ZokhZokh vom Feuilleton sähe das nämlich genauso. Grakh
scherte sich, leise vor sich hinbrummelnd, das Kunst immernoch
das sei, was man zu Kunst erkläre, und dass die ZokhZokh in der
Tasche von Big-Art stecke, wisse jeder.
Runde 30.000 Jahre später versammeln sich nun alle zwei Jahre
Künstlerinnen, Kuratoren, Feuilletonistinnen und kunstsinnige
Besucher ein paar hundert Kilometer westlich der durch einen
machbaren Dokumentarfilm von Werner Herzog berühmt gewordenen
urzeitlichen Höhlen, genauer: in Venedig, um immer noch die
gleiche Frage zu diskutieren: “Was ist Kunst und warum?”
Und es ist ja auch schwer. Mathematik ist, wenn auf beiden Seiten
des = ungefähr das selbe rauskommt, easy. Gib mir einen festen
Punkt im Weltall, und ich hebe Dir die die Welt aus den Angeln,
wusste schon Archimedes und seitdem haben wir stabil: die Physik.
Pornographie ist auch nicht schwer: Es ist Pornographie, wenn Du
weißt, dass es Pornographie ist. Mit dieser unfehlbarer Ringlogik
postulierte das 1964 in den USA der Richter Potter Stewart, ein
Republikaner, no s**t. Die kennen sich ja bekanntlich aus und
sind nebenbei unkorrumpierbar.
Aber Kunst? Kunst ist einfach nicht zu greifen!
Der kleinste gemeinsame Nenner ist wohl, dass es Kunst ist, wenn
etwas mit Dir passiert. Was - ob gut, ob schlecht - ist schon
wieder der Anfang eines viel zu lauten Gespräches zwischen einem
Typen mit Brille und schwarzem Rollkragenpullover und einer Frau
mit einem teuren Tuch um den Hals, und Du willst doch eigentlich
nur ein Panini essen, zwischen dem Besuch des deutschen und des
Schweizer Pavillon. Also geh ich raus aus dem “Ristorante In
Paradiso” am Rande der “Giardini della Biennale” und setze mich
unter einen Baum. Schon besser. Denn ich bin ein
Konfliktvermeider, was eine so grundlegende Eigenschaft ist, dass
sie auch meine Einstellung zur Kunst grundlegend bestimmt. Wenn
etwas passiert, beim Erleben dieser, muss es angenehm sein.
Sicher nicht zu 100%, so ein bisschen Schreck, ein bisschen
Betroffensein, ein bisschen Schmerz gehören zur Experience, aber
maximal soviel wie, sagen wir.. vielleicht: wie wenn man am Zahn
puhlt und es ein bisschen nach Blut schmeckt. Absolute
Obergrenze!
Damit gehe ich also eher d’accor, wie man heute um Chauvet herum
sagt, mit der Kunstkritikerin ZokhZokh und dem Höhlenzeichner
UggoUggo, s.o., als mit Grakh. Denn der Grakh patschte ja mit
seiner Hand neben dem Pferd nicht nur vermeintliche Kunst an die
Wand, sondern auch ein Statement - wissen viele nicht. GrakhGrakh
war nämlich der Meinung, dass die Pferde an der Wand seine seien
oder zumindest seiner Bande, nicht den Fuckern drüben in
Montignac. Die Looser sollen sich zurück nach Afrika verpissen,
wo sie herkommen, irgendwo muss man mal eine Grenze ziehen: wir
hier, die dort. Hough.
Runde 30.000 Jahre später, im Jahr 2024 in Venedig, zur 60.
Biennale, widerspricht diese mit dem Motto “Foreigners
everywhere” vehement. Dieses Motto geht zurück auf eine
anarchistische Kommune aus Turin, die in den Mittzweitausendern
diesen Spruch als Neonlichtinstallationen in der ganzen Stadt
verteilte. Das ist natürlich a) clever b) richtig c) oh, sowas
von richtig - aber es erhöht auch das Potential für Kunst, die
schmerzt, die im Mund ein bisschen zu sehr nach Blut schmeckt.
Problematisch ist das für Konfliktvermeider wie mich deshalb,
weil ich doch so gerne zur Biennale fahre und mich einfach an
Kunst satt sehen möchte.
Nun, es ist Tatsache, dass Kunst immer ein bisschen auf die Zähne
geht, nicht nur wegen des Puhlens, des kleinen Schmerzes, nein,
selbst wenn man sich nur den schönen, interessanten, lustigen,
crazy s**t anschaut - nach 2h Stunden in der Galerie ist man
satt, ein bisschen überfressen vielleicht, und alles klebt im
Kopf, alles wird ein bisschen eng und man muss erst mal raus aus
dem Kunstraum und rein in die Natur oder die Kneipe oder was
sonst so die Aufnahmefähigkeit wieder auf normal bringt.
Das kongeniale an der Biennale ist nun, dass sie nicht nur eine
riesige Ausstellung ist, sondern dass sie in ganz Venedig
stattfindet und dort nicht nur in einem Park in dort fest
stehenden Länderpavillons plus einem riesigen Lagerareal namens
“Arsenale”. Nein, ganz Venedig zeigt von April bis November die
Biennale! Über dreißig locations in der ganzen Stadt - Kirchen,
Häuser und Paläste - werden angemietet von Ländern, Künstlern,
Kollektiven um ihre Kunst zu zeigen. Das Publikum flaniert dann
von Ort zu Ort und malt mit seinem zur Schau stellen der eigenen
Kunstaffinität ein Bild der Bohème, der Artsiness, als Kontrast
zum üblichen Venedig-Touristen in kurzen, karierten Hosen,
Sandalen und grauen Strümpfchen. Das macht Atmo, das schafft
Weit- und Weltläufigkeit, man hat was zu gucken, zu lachen, zu
diskutieren, es ist ein Schlaraffenland des Inputs, des sich
Freuens an der Welt, an jeder Ecke gibt es Espresso und Panini
und ein Aufenthalt von drei Tagen Länge alle zwei Jahre, so lange
braucht man ungefähr um alles zu sehen, kann man sich mit ein
bisschen Sparerei irgendwie leisten. Klar, man ist immernoch ein
f*****g Tourist in Venedig, was die Einheimischen angeblich nicht
so ganz toll finden, aber 2 Euro für eine kleine Flasche Acqua
frizzante nehmen sie dann doch gerne, wie in allen Zentren des
Tourismus auf der Welt. Man ist halt ein Fremder, überall.
So, wie gesagt das Motto der Biennale 2024. Ein gutes Motto, ein
cleveres. Nun, die meisten Künstler sind offene, weltgewandte
Typen und Tussen und gehen natürlich mit bei so einer Message.
Aber gelesen wird sie denn doch unterschiedlich, je nach dem ob
man aus einem Land kommt, in dem die Fremden als Schmarotzer
angesehen werden, die einem seit Jahrunderten die Arbeit, die
Frau, das Geld wegnehmen oder ob man wie wir aus dem globalen
Norden kommt. Wenn man ein bisschen geschichtsbewusst und
empathisch ist, hat man ein leises Gefühl dafür, wie es in den
Künstlern des Südens brodeln muss, im Angesicht von
jahrhundertelanger Ausbeutung, Mord, Vergewaltigung und
Versklavung, und wenn man dann so ein eigensinniger Kunstfuzzi
ist, der alle zwei Jahre in Venedig Panini essen will zwischen
zwei Länderpavillions, hat man ob des Mottos Angst, ob denn da
überhaupt noch Kunst rauskommt.
Man hat Sorge vor der Wut der ehemals oder immer noch
Kolonialisierten und ihrer Art und Weise, wie sie uns diese in
die Galerien scheißen werden. Aber es dräut einem auch vor den
Künstlern der ehemaligen und immer noch tätigen Imperialisten,
dass man hier nur obligatorische Statements sehen werde, plumpe
Entschuldigungsriten und Betroffenheitsgesten. Nun, ich kann
beruhigen, die Biennale 2024 hatte auf Seiten der Auswahlkomitees
und damit natürlich auch der Künstler, die von diesen ausgewählt
wurden, Qualität, es ist fast alles äußerst sehenswert. Die
Beispiele, die aus dem “fast” fallen, kommen ausschließlich aus
Ländern, die es sich supereinfach gemacht und ihren Pavillion an
Künstlerinnen vermietet haben, die sie als “minderrepräsentiert”
einschätzen und sich damit klapp-klatsch die Hände vom kolonialen
Dreck reinigen.
Die Deutschen haben diese Probleme bekanntermaßen in ganz anderen
Dimensionen und unabhängig vom Motto der jeweiligen Biennale. Sie
sind Profis im Entschuldigungsvermeiden und zeigen, wie es geht:
Sie ließen sich diese Jahr von einer israelischen Künstlerin, die
wiederum durchaus in der Kritik steht, ab und an mal die Leni
Reifenstahl zu channeln, ein riesiges Raumschiff bauen, wie aus
der Verfilmung eine Neal Stephenson Romans. Das kann man gut
ansehen (ok, ich bin natürlich festgegangen) und man kann es als
Exodusallegorie in alle Richtungen deuten. So geht das. Und den
letzten Kritiker huschelt man ein, mit einer clever integrierten
Installation mit einem türkischstämmigen Gastarbeiter als
zentraler Figur. Schachmatt.
Die Franzosen ziehen sich wiederum komplett ins unpolitische
zurück, werfen den Computer an, sorry, den Ordinateur, und
begehen französischen Techno. Getoppt wird das nur von Ungarn,
die einfach einen sehr sauberen Technofloor in ihr Haus bauen und
leise ein bisschen umphumph spielen. Sauber.
Japan flüchtet sich in Physikexperimente aus der Grundschule,
Strom aus Zitronen, kleine Rube-Goldberg-Maschinen mit
Wasserdruck, die kleine Glöckchen bimmeln lassen. Süß.
Nur die Briten wissen genau was sie getan haben und weil Adam
Curtis weiß ist und zu israelkritisch, finden sie John Akomfrah,
der diese Probleme alle nicht hat und der dir das Hirn wegbläst
mit einer technisch, konzeptionell und ästhetisch so riesigen
Videoinstallation, wohl nur Teil eins von vier, dass man den
ganzen Tag im britischen Pavillon verbringen möchte. Adam Curtis
ohne Stimme aus dem Background und in ungesehenen Dimensionen.
Episch.
Schnitt zu den Kolonien (ehem., angeblich):
Wenn wir aus dem Norden unser Land verlassen, kommen wir in der
unter uns liegenden Welt im Allgemeinen als Touristen an,
manchmal als Auswanderer. Ausreisende aus dem globalen Süden
hingegen sind immer die der Biennale den Titel gebenden
Ausländer, Foreigners. Ihr Blick auf die Welt wird auf der
Biennale kolonialhistorisch bedingt nicht in Länderpavillons
dargestellt, denn die heutigen Länder dieses Teils der Welt gab
es damals oft noch nicht und ohnehin erhielten nur wenige Länder
ein eigenes Haus in den Giardini. Die Werke der Künstler aus dem
“Rest der Welt” versammeln sich im Arsenal, der ehemaligen
Waffenkammer Venedigs. Kunst als Waffe also. Dort, in zwei, drei
riesigen Hallen, verliert sich die Trennung zwischen den
einzelnen Nationen, man geht nicht mehr aus einem Haus, in einen
Park, in ein Haus, sondern durch eine Tür, einen Vorhang und
manchmal einfach nur über eine gemalte Linie von einem Land in
das nächste. Dieser Nachteil in der ästhetischen Trennung hat
einen Vorteil: man sieht augenblicklich, was die Welt
zusammenhält - gemeinsame Erfahrungen, Probleme, Träume -
dargestellt in unterschiedlichen Techniken, Ästhetiken, aber auch
Intensitäten. Wenn man, wie ich, ein konsequenter Nicht-Leser
dieser seltsamen Tafeln am Eingang von Ausstellungen ist, die
einem erklären, was man zu sehen hat (und die auf dieser Biennale
gefühlt zu 80% von ChatGPT stammen), kann man sich ganz wunderbar
ein Bild von den eigenen Vorurteilen machen. Ein Raum, der auf
der einen Seite eine große Videoinstallation aus Mexiko zeigt,
wurde von mir knallhart nach Bosnien verortet, die andere Seite
des Raumes wurde von den Vereinigten Emiraten bespielt. Hier war
ich mir todsicher, dass es irgendein progressives Afrikanisches
Land, ist, welches eine Installation aus Gepäck, zurückgelassen
und mitgenommen, mit gemalten Karten von Dörfer kombiniert.
Flüchtlinge halt. Bummer, eine Diktatur präsentiert sich so. Was
ist los? Das ist für mich spannend, zumal ich, als beschränkt
interessierter weißer Dude oft nur schwer Zugang zu
außerwestlicher Ästhetik finde und popkulturell auf diesem Gebiet
eh nur crazy s**t aus Japan oder manchmal China in die Timeline
gespült bekomme statt, sagen wir, Jazz aus Nigeria. Aber da hilft
der Komplettismus, den einen bei einer Veranstaltung wie der
Biennale zwangsläufig packt (”Wir haben Hongkong noch nicht
gesehen!” - was zu einem 20 Minütigen Joggingkurs kurz vor der
Schließzeit führt). Durch lauter Repetition, ein Raum, noch ein
Raum, noch ein Raum in afrikanischer Kunst sieht man plötzlich
Pattern und findet diese gut und interessant.
Was mir als kunstbeseelter sweet tooth natürlich auch sehr half
bei dieser Biennale, Thema: Blut im Mund, siehe oben, war, dass
die einzelnen Länder insgesamt doch sehr, sehr nett zu ihren
ehemaligen Vergewaltigern sind und sich in ihrer Kunst oft mehr
auf ihre Innenansicht beziehen oder gar, what? no?!, einfach gute
Kunst machen mit nur minimalem politischen Kontext.
Das macht also auch die diesjährige Biennale für mich zu dem
kulturellen Highlight des Jahres. Ja, die Airbnb Preise sind
tödlich, dafür fliegt f*****g Ryanair. Wenn man, so habe ich das
kompetent ausgerechnet, 25 eur/Monat zurücklegt, kann man sich
diese Kunstvöllerei aller zwei Jahre locker leisten, so man drei
Tage von Pannini und Espresso leben kann. Und dass das geht,
vereint dankbar die ganze Welt. Auf nach Venedig!
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