Episode 09: Wenn der Traumfisch kommt
Wie ein Mädchen aus dem Griff des Traumreichs befreit wurde
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Beschreibung
vor 2 Monaten
Es war einmal ein Mädchen, das mochte zum Leidwesen seiner
besorgten Eltern nicht sprechen, obwohl es längst schon in einem
Alter war, in welchem sich Kinder üblicherweise bereits gut
verständigen konnten. Ohne auch nur ein einziges Wort von sich
zu geben, verbrachte es seine Tage hauptsächlich damit, in den
Himmel zu starren. Alle Ärzte, die es untersuchten, standen vor
einem Rätsel. „Ihr Kind ist kerngesund. Wir wissen leider nicht,
warum es nicht spricht und ständig zum Himmel blickt“, meinten
sie zu den Eltern, die darüber sehr betrübt waren, dass niemand
ihrer Tochter zu helfen vermochte.
Schließlich schickten sie in ihrer Verzweiflung nach einer
Wahrsagerin und Hellseherin, welche im Rufe stand, über geheimes
Wissen zu verfügen. Die alte Frau kam noch am gleichen Abend in
das Haus der Familie und betrachtete das Kind lange. Dann meinte
sie mit krächzender Stimme: „Ich muss eure Tochter über Nacht
beobachten. Bitte besorgt mir einen weichen Stuhl für meine alten
Knochen, ich will an ihrem Bett über sie wachen. Ihr dürft aber
keinesfalls Nachschau halten und uns stören.“ Verwundert
willigten die Eltern ein, brachten einen gemütlichen Sofasessel
und verließen
das Zimmer.
Ohne sich weiter um seinen Gast zu kümmern, begab sich das
Mädchen zu Bett und schlief bald darauf ein. Die Alte aber hielt
die Augen offen und harrte der Dinge, die da kommen mochten.
Es war schon weit nach Mitternacht, als sich plötzlich die
Fensterflügel lautlos öffneten. Ein zarter Windhauch strich in
das Zimmer und erfüllte es mit einem eigentümlichen, feinen Duft
nach Blüten und Meerwasser. Gleich darauf glitt eine leuchtende
Gestalt in
Form eines langschwänzigen, bunt geschuppten Fisches in das
Zimmer. Langsam begann das Mädchen mitsamt seinem Bettchen zu
schweben und verschwand in Begleitung des wundersamen Wesens, um
einige Zeit später auf ebenso rätselhafte Weise wieder zu
erscheinen. Die Alte aber, bei der es sich in Wahrheit um eine
Weiße Hexe handelte, hatte genug gesehen. Nun wusste sie, dass
das Mädchen von einem Traumfisch in das Reich des Sandmanns
entführt wurde, wo es so unvergleichliche Erlebnisse hatte, dass
das irdische Dasein dagegen verblasste und es nicht mehr
kümmerte.
Am nächsten Morgen verabschiedete sie sich von den Eltern,
versprach am Abend wiederzukehren und eilte in ihre Küche. In
ihrem großen Kessel braute sie einen Trank, der dem Mädchen dabei
helfen sollte, dem Ruf des Traumfischs zu widerstehen. Abends
hieß sie dann die Eltern, das bittere Gebräu unter einen süßen
Brei zu mischen und es ihrer Tochter zu essen zu geben. Dann
begab sie sich mit dieser wieder in das Schlafgemach, um über sie
zu wachen.
Tatsächlich wiederholte sich zunächst das Spiel der vergangenen
Nacht. Doch dieses Mal entschwebte das Kind nicht mit dem
Traumfisch, welcher bald wieder verschwand. Als es am nächsten
Morgen die Augen aufschlug, sagte es klar und deutlich: „Ach, wie
habe ich gut geschlafen! Was für ein herrlicher Morgen! In der
letzten Zeit habe ich so viel geträumt!“ Da wusste die Hexe, dass
sie das Mädchen aus dem Griff des Traumreichs befreit hatte und
übergab es seinen überglücklichen Eltern.
Sobald das Kind aber alt genug dafür war, begann es seine
Erlebnisse in der Traumwelt niederzuschreiben und wurde eine
berühmte
Schriftstellerin und Märchenerzählerin.
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