Gedanken am frühen Morgen - Keine Angst vor dem Kranken

Gedanken am frühen Morgen - Keine Angst vor dem Kranken

5 Minuten

Beschreibung

vor 2 Monaten

Alles Zusammengesetzte fällt der Auflösung anheim. Alles, was
sich durch Zusammensetzung gebildet hat, geht der Auflösung
entgegen. Wenn unser Leib den Geist kurze Zeit umschlossen hat,
dann erlöschen wir wie eine Wasserblase und lassen keine Spur
dieses vorübergehenden aufgeblasenen Dunstes im Leben zurück.
Säulen, Steine und Inschriften erhalten unser Andenken, und auch
diese dauern nicht ewig. Wenn du also dies in Betreff deiner
Person bedenkest, so sei nicht hohen Sinnes, sondern fürchte
dich, wie der Apostel sagt. Es ist ungewiss, ob du nicht gegen
dich selbst Hartherzigkeit vorschreibst. Du fliehst, nicht wahr,
vor dem Kranken? Was kannst du ihm vorwerfen? Dass die
Feuchtigkeit in ihm verdorben und ein gewisser eiternder Saft in
das Blut gemischt ist, weil die schwarze Galle sich in die
Feuchtigkeit ausgegossen hat? Denn so kann man die Ärzte sich
äußern hören, welche die Natur der Krankheiten erklären. Was für
ein Unrecht begeht also der Mensch, wenn die Natur eine
schwankende und unbeständige Substanz ist und in diese Gattung
der Krankheit fällt? Siehst du nicht auch an den gesunden
Körpern, dass, wer im Übrigen sich wohl befindet, von einer
Entzündung oder einem Geschwür oder einem ähnlichen Leiden
ergriffen wird, indem an einem Teil die Feuchtigkeit über Gebühr
sich erhitzt und deshalb Entzündung, Röte und eiternde Fäulnis
eintritt? Wie nun? Führen wir etwa Krieg mit dem kranken Teil des
Fleisches? Gerade im Gegenteil wenden wir alles, was am Körper
gesund ist, zur Heilung des kranken Teiles an. Die Krankheit ist
also nicht zu verabscheuen. Denn es würde sonst auch an uns
selbst, wenn ein Teil krank ist, der gesunde Theil vor der Pflege
des kranken zurückschrecken. Was ist aber die Ursache, die uns
von solchen Menschen zurückhält? Was ist es?

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