Im Gespräch mit ... Hannah Lühmann
57 Minuten
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vor 2 Monaten
Es ist wahr, die Welt ist kompliziert, und man muss sich dabei
nicht einmal in die Abgründe der Sprachphilosophie oder der
Quantenmechanik verirren. Es reicht schon hin, dass man einen
Spielplatz besucht. Selbst hier nämlich kommt man nicht umhin,
den kognitiven Dissonanzen der Gegenwart ins Auge zu sehen, kann
es, aus heiterem Himmel, passieren, dass man mit den absurdesten
Paradoxien konfrontiert wird. Mögen diese in der Theorie nichts
weiter sein als ein Sprachspiel, ändert sich sich dies, wenn ein
Kind ins Spiel kommt (eine Erfahrung, die einen guten Freund zu
der fatalistischen Bemerkung veranlasst hat, ein solcher
Sprössling sei doch ein trojanisches Pferd, kehrte hier eine
längst überwunden geglaubte Gesellschaft zurück). Was
beispielsweise macht eine überzeugte Feministin, wenn sie, mit
einem Knaben gesegnet, als Komplizin toxischer Männlichkeit
beargwöhnt wird, zudem von der dumpfen Gewissheit heimgesucht
wird, dass der Lebensweg ihres Knaben mit einem Malus belegt ist?
Dass Hannah Lühmann dieser Gedankenverlegenheit eine Stimme
gegeben hat, war für mich ein Anlass, mit ihr in ein Gespräch
einzutreten – und darüber in Erfahrung zu bringen, welche
Richtung die Gender-Diskurse der 90er Jahre eingeschlagen haben -
und wie sehr dies den Alltag bestimmt. Nun gehöre ich zwar selbst
der Boomer-Generation an, gleichwohl sind mir die fraglichen
Gedankenfiguren nicht unvertraut – beschäftigt man sich doch
nicht ungestraft mit dem Dogma der Unbefleckten Empfängnis oder
fragt sich, wie die Antike ihre Hopliten zu iron men hat
zurichten können. Nun haben die Diskurse der Gegenwart derlei
kulturgeschichtliche Rätselfiguren weit hinter sich gelassen.
Stattdessen hat sich eine Art der moralischen Ökonomie
eingebürgert, bei der Konzepte wie die genderneutrale Erziehung
oder die genderkorrigierte Fassung der Kinderbuch-Klassiker zum
guten Ton gehören, wenn sie nicht überhaupt das juste milieu der
U-40 charakterisieren. In diesem Sinn war das Gespräch mit Hannah
Lühmann eine gleichermaßen unterhaltsame wie aufschlussreiche
Exkursion, der Ausflug in eine Welt, die ich vielleicht in statu
nascendi erlebt haben mag, die aber Konflikte ganz neuer Schärfe
und Prägung hervorgebracht hat. Gewiss fühlt sich dabei vieles
fremd und ungewohnt an, aber vielleicht besteht die ganze Kunst
darin, dass man den kognitiven Dissonanzen nicht ausweicht,
sondern sie als das Porträt unserer Epoche begreift – jener Welt,
in der man gar nichts anderes mehr sein kann als ein digital
native. Oder wie Hannah Lühmann amüsiert davon erzählt, welch
prominenten Platz die Sprachsteuerung in der Phantasiewelt ihres
4-jährigen Sohnes eingenommen hat: Achtung, Laserkanone!
Hannah Lühmann, geboren 1987, hat Philosophie in Berlin und in
Paris studiert. Sie ist stellvertretende Ressortleiterin im
Feuilleton der "Welt" und "Welt am Sonntag".
Von Hannah Lühmann ist erschienen
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