„Der Wahlerfolg der Rechtspopulisten – Bleibt Ostdeutschland von den gemeinsamen Erfahrungen mittel-osteuropäischer Gesellschaften geprägt?“ - mit Paula Piechotta und Piotr Buras

„Der Wahlerfolg der Rechtspopulisten – Bleibt Ostdeutschland von den gemeinsamen Erfahrungen mittel-osteuropäischer Gesellschaften geprägt?“ - mit Paula Piechotta und Piotr Buras

44 Minuten

Beschreibung

vor 1 Monat

Der polnische Politologe Piotr Buras sieht „gewisse Dinge im
Alltag, im Verhalten von Polen und Ostdeutschen, meinen
ostdeutschen Nachbarn in Brandenburg, die uns verbinden, wo wir
uns näher zuhause fühlen als in Westeuropa (..). Das hängt
zusammen mit gemeinsamen Erfahrungen aus der Zeit vor der Wende.
(..) Es gibt aber sehr viel, was anders gelaufen ist in den
letzten 30 Jahren, (.. so) die Transformationsgeschichte. (..)
Der grösste Unterschied besteht natürlich darin, dass wir kein
Westdeutschland hatten. Das hatte grosse Nachteile, aber auch
wieder Vorteile. Dieses Gefühl der Ohnmacht in Ostdeutschland
(..) das war in Polen nicht der Fall, (..) jeder muss selbst
verantworten, was damals in den 90-er Jahren passiert ist.“

Buras sieht aber ein gemeinsames Missverständnis: „dass man sich
sehr stark darauf fokussierte, wie stark die Wirtschaft gewachsen
ist in Polen und in Ostdeutschland. (..) Als in Polen die
PIS-Partei an die Macht kam, (..) haben sich alle gewundert (..)
: Jetzt plötzlich wählen wir eine Partei, die sozial-konservativ,
rückwärtsgewandt und populistisch ist. Und das ist genauso in
Ostdeutschland. (..) Diese wirtschaftliche Lage liefert überhaupt
keine Erklärung für das Verhalten der Menschen. Es geht vielmehr
um Respekt, auch um Selbstwertgefühl, darum, ob sich Leute als
Bürger erster oder zweiter Klasse fühlen. In Polen war das nicht
anders.“

Für die Bundestagsabgeordneten Paula Piechotta ist dieses
verletzte Selbstwertgefühl in Ostdeutschland besonders relevant:
„Die friedliche Revolution und dann der Beitritt von
Ostdeutschland zum Geltungsbereich des Grundgesetzes hat aus der
Region Ostdeutschland eine Minderheitengesellschaft im
gesamtdeutschen Kontext gemacht. (..) Das ist eine der Gründe für
das sehr starke Sich-als-Bürger-zweiter-Klasse-Fühlen. (..) Die
Abwertung des Ossis, war ja auch schon ein sehr starkes Motiv vor
1989. Das hat sich ja ab 1945 im zunehmend geteilten Deutschland
immer mehr entwickelt, (..) dass auch in Westdeutschland ein sehr
spezifisches, sehr abwertendes Bild über Ostdeutschland entstand.
Und umgekehrt hat natürlich auch schon die Propaganda des
SED-Staates ein unglaublich negatives Bild von Westdeutschland
und einen sehr grossen Antiamerikanismus sehr tief reingetrieben
in die Bevölkerung."

Buras sieht im osteuropäischen Rechtspopulismus auch eine
Spätfolge des Umbruchs von 1989: Die Frage „warum in Mittel- und
Osteuropa, nicht nur in Polen und Ostdeutschland diese
populistische Welle mit viel grösserer Wucht einschlägt, hängt
damit zusammen, dass (..) wir heute die zweite Phase, die zweite
Welle einer grossen Veränderung erleben, eine Veränderung zwar
genauso wie in Westdeutschland oder Frankreich, aber (..) alles,
was heute die grosse gesellschaftliche, wirtschaftliche und
soziale Veränderung ausmacht, kommt in Mittel- und Osteuropa
inklusive Ostdeutschland zum zweiten Mal.“ – „Und es trifft
hier“, so Piechotta, „auf junge Demokratien, woanders trifft es
auf gefestigtere Demokratien.“

Piechotta stellt im Rückblick aber fest, dass „die
Bürgerrechtsbewegung im damaligen Ostdeutschland stark davon
gelernt hat, was Solidarnosc, was Charta 77 Jahre vorher
entwickelt hatten (..), wie man die Ostblockstaaten in die Knie
zwingt. Und jetzt ist es auch wieder so, dass wir auf der Suche
nach Antworten wieder auf Polen schauen, das wieder ein paar
Jahre vor uns ist, das Jahre der PIS-Regierung hinter sich hat
(..) und jetzt zum ersten Mal wieder Wahlen dagegen gewonnen
hat.“ - Das bestätigt auch Buras: „Die polnische Lektion zeigt,
dass es möglich ist, den Rechtspopulismus und den Iliberalismus
zu überwinden.“ Piechota ist etwas vorsichtiger: „Ja, aber nur
wenn jetzt nicht die nächste grosse Abwanderungswelle kommt. (..)
Jetzt gibt es sehr starke Tendenzen, dass nicht mehr Leute neu
nach Ostdeutschland ziehen oder zusätzliche
Abwanderungsbewegungen stattfinden (..) und das ist die grosse
Gefahr.“

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