"Schreiben" (Michel de Montaigne)

"Schreiben" (Michel de Montaigne)

Ein Essay aus dem Jahr 1580
7 Minuten
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Hochwertige Literatur, vorgelesen von professionellen Sprecherinnen und Sprechern

Beschreibung

vor 1 Tag

Heute geht’s um den Kern des Ganzen. Um das Wesentliche. Um die
Grundlage der schriftstellerischen Erzählkunst und die unseres
Podcasts. Michel de Montaigne schreibt vom Schreiben, und er tut
dies in einer speziellen Form. Er gilt als Erfinder, Erstautor
der auch heute noch unter Schriftstellern beliebten Textgattung
Essay. Dass sie beliebt ist, ist alles andere als verwunderlich,
denn das Programm, das Montaigne in seinen Texten entwickelt,
lässt viele individuelle Freiheiten. Wie jedes literarische Genre
hat auch die Essay-Form über die Jahrhunderte hinweg an Strenge
verloren. Schließlich erschienen Montaignes „Essais“ (so im
französischen Original) ab dem Jahr 1580 bis ins Jahr 1595. Es
begann also vor mehr als 440 Jahren! Und doch gelten einige
Formregeln weiterhin.


Der Essayist sollte stets induktiv vorgehen, also vom Besonderen,
vom Einzelfall ausgehen. Er sollte multiperspektivisch seinen
Gegenstand betrachten, (scheinbar) unsystematisch, stattdessen
assoziativ vorgehen, ihn eher umkreisen als scharf konturieren.
Und er sollte eben auch so schreiben können. Eine für die Wirkung
eines Essays ganz entscheidende Voraussetzung. Denn der schönste
Essay-Plan wäre sinnlos, wenn der Schreiber oder die Schreiberin
nicht in der Lage wäre, das Publikum zu unterhalten – auf welcher
intellektuellen Ebene auch immer. Michel de Montaigne jedenfalls
war ein außerordentlich klar und präzise schreibender Autor, der
aufgrund einiger gewagter Vergleiche und Metaphern stets zu
unterhalten wusste. Und: Bis dahin hatte keine Textgattung so
sehr auf das Ich gesetzt, so stark Ich-Empfindungen und
-Wahrnehmungen ins Zentrum gestellt.


In dem Werk, das wir heute vorstellen, nennt Montaigne das
Ergebnis des essayistischen Schreibens „das Protokoll (…)
unfertiger und mitunter gegensätzlicher Gedanken“. Es sei „nie
fest“, sondern „ständig in Erprobung“, und er schildere als
Essayist „nicht das Sein“, sondern „das Unterwegs-Sein“. Ach,
schön! Auch lesen wir von der Wandelbarkeit und
Widersprüchlichkeit, die im Autor selbst und im Leser wirken, vom
natürlichen Wanken und Schwanken der Welt, von der Beständigkeit,
die ihm „bloß ein verlangsamtes Schaukeln“ ist. Alles schwankt,
wankt, schaukelt. Auch der Autor.


Es gehört zum Essay, Fragen offenzuhalten. In diesem Sinne
schweigen wir an dieser Stelle – selbst ein wenig schwankend, da
wir doch noch so vieles mehr schreiben könnten … Der Vorleser des
Textes ist der unvergleichliche Otto Sander. Die Übersetzung
stammt von Hans Stilett.

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