109 — Was ist Komplexität? Ein Gespräch mit Dr. Marco Wehr

109 — Was ist Komplexität? Ein Gespräch mit Dr. Marco Wehr

1 Stunde 5 Minuten

Beschreibung

vor 16 Stunden

Eifrige Hörer des Podcasts werden bemerken, dass es bereits eine
Episode zum Thema gab, nämlich Episode 10 mit dem Titel
»Komplizierte Komplexität« aus dem Jahr 2019. Es lohnt sich auch,
diese nochmals nachzuhören, aber nach fünf Jahren ist es an der
Zeit, hier ein Update zu machen. Ganz besonders auch deshalb,
weil ich mich wieder einen hervorragenden Gesprächspartner zum
Thema virtuell einladen durfte, Dr. Marco Wehr.


Dr. Marco Wehr ist Physiker und promovierter
Wissenschaftstheoretiker. Als vielfach ausgezeichneter Autor und
Redner beschäftigt er sich mit Fragen der Vorhersehbarkeit, der
Rolle des Körpers für das Denken und der Beziehung von Gehirn und
Computer. Marco Wehr ist Gründer und Leiter des philosophischen
Labors in Tübingen. Sein neues Buch »Komplexe neue Welt« ist
natürlich eine der Grundlagen für dieses Gespräch. Es ist
unlängst zum Wissensbuch des Jahres 2024 vorgeschlagen worden.
Link zum Buch natürlich wie immer in den Shownotes.


Marco beschäftigt sich auch mit der Frage der Modellierung, und
sein aktuelles Vortrags-Format für 2025 heißt folgerichtig: »Die
Macht mathematischer Modelle«.


Wir beginnen mit der Frage, was der Unterschied zwischen
komplexen und komplizierten Systemen oder Fragestellungen ist,
zumal diese beiden Begriffe umgangssprachlich oft synonym
verwendet werden. Was kann man in dieser Hinsicht von
Mandelbrot-Fraktalen lernen?


Welche Systeme der Welt sind irreduzibel?


“Can one predict what will happen? No, there’s what I call
computational irreducibility: in effect the passage of time
corresponds to an irreducible computation that we have to run to
know how it will turn out.”, Stephen Wolfram


Wie kann man feststellen, ob man ein kompliziertes oder komplexes
Problem vor sich hat? Was sind »Inseln der Propheten«? Gibt es
eine kognitive Täuschung in den Naturwissenschaften? Der
US-amerikanische Wissenschaftsforscher John Ioannidis hält
Menschen (und besonders auch Wissenschafter), die glauben, zu
viel zu wissen, für eine große Gefahr. Schon der bedeutende
Philosoph des 20. Jahrhunderts, Karl Popper, hat dies sehr
deutlich ausgedrückt:


»Jeder Intellektuelle hat eine ganz spezielle Verantwortung. Er
hat das Privileg und die Gelegenheit, zu studieren. Dafür
schuldet er es seinen Mitmenschen (oder der Gesellschaft), die
Erkenntnisse seines Studiums in der einfachsten und klarsten und
bescheidensten Form darzustellen. Das Schlimmste – eine Sünde
gegen den heiligen Geist – ist, wenn die Intellektuellen es
versuchen, sich ihren Mitmenschen gegenüber als große Propheten
aufzuspielen und sie mit orakelnden Philosophien zu beeindrucken.
Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und
weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann.« 


Dann sprechen wir über den Laplacesche Dämon und was man von ihm
über die Welt und die Entstehung der Wahrscheinlichkeitsrechnung
lernen kann? 


Wie hat Urbain Le Verrier den Neptun vorhergesagt? 


»Ich möchte, dass man das, was man weiß, und das, was man nicht
weiß, deutlich voneinander unterscheidet.«


Wie erkennt man einen Experten und wer repräsentiert
Wissenschaft?


Was sind Rückkopplung und Resonanz und warum ist es so
entscheidend, diese Phänomene in komplexen Systemen zu verstehen?
Wo sind die Grenzen eines Modells? Gibt es eine saubere Trennung
zwischen Beobachter und Modell? Was sind Signaturen komplexer
oder chaotischer Systeme?


Begehen wir in der heutigen wissenschaftlichen Praxis zu häufig
den Fehler »im Licht zu suchen«, statt dort, wo es sinnvoll wäre
— besonders in den Bereichen, die man im weiteren Sinne als
Data-Science bezeichnet? Man kann versuchen, die Welt zu
verstehen, oder die lösbaren Probleme der Welt herauszupicken und
daraus falsche Schlüsse über die Welt zu ziehen.


Was ist die stoische Landkarte, wie kann und diese weiterhelfen?


Hypothese ist immer vor der Empirie und damit bekommen begründete
Vorannahmen eine wichtige Rolle im wissenschaftlichen
Prozess. 


Dazu kommt, dass es nie nur ein Modell gibt, das zu bestimmten
Daten »passt«, dies wird auch als Duhem-Quine Hypothese
bezeichnet.


Was bedeutet dies am Beispiel der Klimamodellierung oder
Wirtschaftsmodellen? Kann man die Inseln des Wissens von den
Inseln des Unwissens unterscheiden? Welche Rolle spielen Vulkane
und andere Naturkatastrophen?


Warum ist die Energiewende in Deutschland schiefgegangen?


»Am deutschen Wesen soll die Welt genesen...«


Die Welt lernt in der Tat von Deutschland, aber wohl eher am
Versagen Deutschlands. Das mag gut für die Welt sein, ist aber
schlecht für Deutschland. Wie ist das dazu gekommen? Was sind
»intellektuelle Insulaner«?


Was sind Komplexitätsfallen – natürliche vs. künstliche — heute
haben wir es mit beiden zu tun und einer Mischung/Interaktion von
beiden? Noch kritischer sind hybride Komplexitätsfallen oder
Komplexitätsmonster — wie kommen diese zustande?


Was versteht man unter emergenten Effekten?


Was sind existenzielle Risiken, und warum ist ein Fokus auf
»Klima« kontraproduktiv — Carrington-Event als Beispiel.


“There are no solutions, only tradeoffs”, Thomas Sowell


Wie gehen wir als Individuen mit radikaler Unsicherheit in
komplexen Systemen um?


»We control nothing, but we influence everything«, Brian Klaas


Was ist die richtige Balance zwischen Sicherheit und
Unsicherheit? Ist diese erreichbar?


»Die meisten Mensche wollen nicht in einer total vorhersagbaren
Welt leben, auch wenn sie das behaupten.«


Wie kommen wir als Gesellschaft wieder aus den zahlreichen
schweren Problemen heraus, in denen wir uns in den letzten Jahren
verstrickt haben? Offene Diskussion scheint das wesentlichste zu
sein. Kontroverse steht im Zentrum von Wissenschaft und daraus
folgt offener und kritischer gesellschaftlicher Diskurs. 


Referenzen


Andere Episoden


Episode 107: How to Organise Complex Societies? A
Conversation with Johan Norberg

Episode 106: Wissenschaft als Ersatzreligion? Ein Gespräch
mit Manfred Glauninger

Episode 99: Entkopplung, Kopplung, Rückkopplung

Episode 96: Ist der heutigen Welt nur mehr mit Komödie
beizukommen? Ein Gespräch mit Vince Ebert

Episode 94: Systemisches Denken und gesellschaftliche
Verwundbarkeit, ein Gespräch mit Herbert Saurugg

Episode 92: Wissen und Expertise Teil 2

Episode 90: Unintended Consequences (Unerwartete Folgen)

Episode 86: Climate Uncertainty and Risk, a conversation with
Dr. Judith Curry

Episode 85: Naturalismus — was weiß Wissenschaft?

Episode 80: Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion

Episode 79: Escape from Model Land, a Conversation with Dr.
Erica Thompson

Episode 76: Existentielle Risiken

Episode 72: Scheitern an komplexen Problemen? Wissenschaft,
Sprache und Gesellschaft — Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann

Episode 69: Complexity in Software

Episode 68: Modelle und Realität, ein Gespräch mit Dr.
Andreas Windisch

Episode 36: Energiewende und Kernkraft, ein Gespräch mit Anna
Veronika Wendland

Episode 10: Komplizierte Komplexität



Dr. Marco Wehr


Marco Wehr auf LinkedIn

Philosophisches Labor in Tübingen

Marco Wehr, Komplexe neue Welt und wie wir lernen, damit
klarzukommen, Galiani Berlin (2024)



Fachliche Referenzen


Steven Wolfram, How to Think Computationally about AI, the
Universe and Everything (2023)

Daphne Hruby, John Ioannidis: Das Gewissen der Wissenschaft,
Ö1 Dimensionen (2024)

Karl Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt (1987)

Underdetermination of Scientific Theory, Stanford
Encyclopedia of Philosophy (2023)

Franz Josef Radermacher, Global Energy Solutions

Thomas Sowell, A Conflict of Visions: Ideological Origins of
Political Struggles (1987)

Brian Klaas, Fluke: Chance, Chaos, and Why Everything We Do
Matters, John Murray (2024)

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