Der germanische Dreiklang
Die Reichsmusiktage 1938 in Düsseldorf verfolgten das Ziel einer
„reinrassigen“ Kunst – und offenbarten dabei manche Widersprüche.
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vor 2 Monaten
Der germanische Dreiklang
Die Reichsmusiktage 1938 in Düsseldorf verfolgten das Ziel einer
„reinrassigen“ Kunst – und offenbarten dabei manche Widersprüche.
Eine „Heerschau deutscher Tonkunst“ sollten sie sein, eine
„Olympiade deutscher Musik“, jubelte die gleichgeschaltete
Presse: die Reichsmusiktage, 1938 auf Initiative des
Propagandaministeriums von der Reichsmusikkammer und der
NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ in Düsseldorf veranstaltet.
Der feierlichen Eröffnung am 22. Mai, dem 125. Geburtstag von
Richard Wagner, folgten acht Tage mit einem dicht gefüllten
Programm: Drei Sinfoniekonzerte, vier Werkkonzerte bei
Rheinmetall-Borsig und in anderen Betrieben, Platzkonzerte an
verschiedenen Stellen der Stadt, Kammermusiken, Chorkonzerte, ein
musikalischer Tee-Empfang auf der Rheinterrasse, Offenes Singen,
dazu Tagungen (zum Beispiel über „Musik und Rasse“).
Offizieller Höhepunkt: die „Kulturpolitische Kundgebung“ mit
Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, eingeleitet von einem
„Festlichen Vorspiel“, komponiert und dirigiert von Richard
Strauss. Er und Hans Pfitzner, dessen Kantate „Von deutscher
Seele“ erklang, waren die etablierten Tonsetzer im Dienst des
Naziregimes, ansonsten standen Werke der deutschen Klassik und
Romantik auf dem Programm. Die damals jungen Komponisten, die in
Düsseldorf uraufgeführt wurden, sind heute vergessen.
Die von zentraler Stelle durchgeführten Reichsmusiktage sollten
die glanzvolle Überlegenheit deutscher Musik machtvoll zum
Ausdruck bringen, repräsentativ und populär, auf Grundlage der
rassisch begründeten Musikpolitik des „neuen Deutschland“, mit
dem Anspruch auf Totalität und Zukunft. Aber: „Die Verbrüderung
der Volksgenossen mit Hilfe der Musik funktionierte nur mittels
aggressiver Abgrenzung gegen ‚Andersartiges‘“, so der
Düsseldorfer Journalist Werner Schwerter: „Der mörderische
Antisemitismus war nicht einfach ein Ausrutscher – er gehörte
untrennbar dazu, war Programm und Kalkül von Anfang an, auch wenn
man bei Beethovens Neunter gerade daran nicht denken mag.“
Das Ziel einer von Rassegesetzen diktierten Kunst war gerade in
der Musik nicht immer klar und eindeutig zu erreichen. Die
Nazi-Kulturpolitik hatte den Anspruch, Ordnung zu schaffen,
verbindliche Maßstäbe zu setzen und Feinde auszumerzen.
Musikalische Hauptgegner wurden unter den Etiketten „Atonalität“
und „Jazz“ angegriffen und als schädlich für das deutsche Wesen
gebrandmarkt. Dahinter, so die Parteilinie, stand natürlich das
internationale Judentum, dessen verderblicher Einfluss mit dem
Sieg der „nationalen Revolution“ in Deutschland ein Ende gefunden
hatte.
Aber gerade auf dem Gebiet der Musik führte dies oft zu
Widersprüchen, Unsicherheit und Verwirrung. Warum sollte sich die
musikalische Sprache des Juden Felix Mendelssohn Bartholdy
plötzlich grundlegend von der seiner romantischen Zeitgenossen
unterscheiden? Warum sollte der Dreiklang „germanischer“ Natur
sein, warum der Jazz „undeutsch“? „Der Rassismus hatte auch die
deutsche Musikkritik aller Urteilsgrundlagen beraubt“, stellt
Werner Schwerter fest: „Sollte man es sich fortan einfach machen:
Stammbaum als Maßstab? Das konnte nicht funktionieren.“ Schwerter
weist darauf hin, dass es jüdische Komponisten gab, die ganz dem
vermeintlich arischen Harmonieverständnis entsprachen. Und
umgekehrt Arier, die atonal experimentierten. So viele Ausnahmen
– „dass letztlich keine Regeln mehr galten, obwohl doch alles
geregelt sein sollte.“
Ein Ereignis im Rahmen der Reichsmusiktage, an dem sich solche
Widersprüche besonders deutlich zeigten, war die Hetzschau
„Entartete Musik“ (in Anlehnung an die im Vorjahr gezeigte
Ausstellung „Entartete Kunst“). Die Idee hatte der
Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, Hans
Severus Ziegler. „Was in der Ausstellung ‚Entartete Musik‘
zusammengetragen ist, stellt das Abbild eines wahren Hexensabbath
und des frivolsten, geistig-künstlerischen Kulturbolschewismus
dar und ein Abbild des Triumphes vom Untermenschentum, arroganter
jüdischer Frechheit und völliger geistiger Vertrottelung“, sagte
er in seiner Eröffnungsrede. Die Ausstellung, die dem Publikum
die Auflösung „unserer arischen Tonordnung“ vorführen sollte,
enthielt Nischen, wo man auf Knopfdruck Schallplatten mit
Beispielen der verpönten Klänge hören konnte. Die Trennwände
dieser Boxen hielten aber den Schall nicht ab: eine beabsichtigte
Kakophonie sollte Zieglers „Hexensabbat“ zeigen. „Ein
erschreckend billiger und doch raffiniert berechneter Trick,
dessen verheerender Wirkung auf die Besucher man sich von
vorneherein sicher sein konnte“, sagt dazu der
Musikwissenschaftler Albrecht Dümling. Doch nicht alle ließen
sich abschrecken: Der Musikkritiker Heinrich Strobel erinnert
sich später, dass die meisten Besucher just in den Saal kamen, wo
Songs aus der „Dreigroschenoper“ erklangen: „jeder wollte diese
Melodien noch einmal hören“.
Ziegler war alleiniger Initiator der Ausstellung und trieb das
Projekt gegen die Widerstände anderer Kulturfunktionäre voran.
Peter Raabe hielt die Ausstellung „für einen Unfug“, so schrieb
er an Goebbels, und erklärte im selben Brief seinen Rücktritt als
Präsident der Reichsmusikkammer. Dass man mit der
Zusammenstellung einen Dilettanten und musikalischen Laien wie
Ziegler betraut hatte, erboste ihn.
Doch auch Goebbels, der Jazz zu schätzen wusste, hielt nicht viel
von Zieglers Grusel-Kabinett: Zwei Stunden nach der Eröffnung
verschickte das Reichspropaganda-Amt in Berlin an alle lokalen
Propagandaleitungen und die NSDAP-Zentrale in München ein
Fernschreiben, in dem groß aufgemachte Berichte über die
Ausstellung ausdrücklich untersagt wurden, auch nach den
Reichsmusiktagen. Und sie wurde in Düsseldorf zwei Wochen früher
als geplant geschlossen.
Vieles spricht dafür, dass sich Hans Severus Ziegler als
besonders eifriger Nationalsozialist hervortun wollte, weil er
wegen seiner Homosexualität angreifbar war.
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