«Wirtschaftskrise, Investitionsstau und marode Infrastruktur – Ist die Schuldenbremse das Problem?» - mit Otto Fricke und Philippa Sigl-Glöckner

«Wirtschaftskrise, Investitionsstau und marode Infrastruktur – Ist die Schuldenbremse das Problem?» - mit Otto Fricke und Philippa Sigl-Glöckner

54 Minuten

Beschreibung

vor 4 Tagen

Philippa Sigl-Glöckner, Leiterin des finanzpolitischen Thinktanks
‘Dezernat Zukunft‘, verlangt, dass man «unmittelbar jetzt die
Schuldenbremse, wie sie im Grundgesetz steht, sinnvoll auslegen
sollte. (..) Da gibt es ganz viele Spielräume, (..) da es grosse
öffentliche Investitionsbedarfe gibt, und diese Investitionen
sollten getätigt werden.» - Otto Fricke, haushaltspolitischer
Sprecher der FDP im Bundestag entgegnet: «Die Verfassung, das ist
die Regel, die gilt. (..) Diese Regel ist auch Teil der
Koalitionsvereinbarung. (..) Es ist einfach zu verlockend,
Schulden zu machen (..) Wir müssen Prioritäten und
Posterioritäten setzen.»

Untergräbt eine höhere Verschuldung das Vertrauen der
Finanzmärkte? «Da sagen», so Sigl Glöckner, «die Finanzmärkte das
Gegenteil: Gut, dass es endlich deutsche Staatsanleihen in
grösserem Volumen gibt» - Fricke argumentiert mit den
amerikanischen Zinsschulden und stellt die Frage: «Wie sorge ich
dafür, dass ich Vertrauen behalte als Staat.» - Sigl-Glöckner
entgegnet «Die amerikanische Staatanleihe ist die Definition der
risikolosen Wertanlage in der Welt und wird als Benchmark dafür
genommen, genauso wie die deutsche Staatsanleihe.»

Auf die Frage: Müssen unsere Kinder und Enkel die Staatsanleihen
zurückbezahlen, antwortet Sigl-Glöckner: «Die müssen sie nicht
zurückbezahlen, weil die Staatsanleihe von einem Investor
gehalten wird und wenn diese Staatsanleihe fällig wird, dann
kauft er im Zweifel erst mal eine neue. Die Idee, dass der
deutsche Staat regelmässig seine Bilanz auf null zurückfahren
muss, gehört eher ins Märchenland.»

Sie fragt Fricke: «Wo findest du Spielräume auch nur annähernd in
der Grössenordnung, die wir jetzt benötigen für Investitionen im
aktuellen Bundeshaushalt? (..) Ich habe das versucht und komme
nicht annähernd auf die richtige Grössenordnung, (..) ausser man
erhöht die Mehrwertsteuer brutal. (..) Der Bundesrechnungshof
sagt, dass bis auf 10% des Haushalts alles gebunden ist.» -
Fricke entgegnet: «Dann würde ich an alle möglichen
Staatsleistungen rangehen. (..) Das Problem ist, dass so getan
wird, als wäre weiteres Geld da, (..) weil ich das Risiko von
einer zu hohen Verschuldung über die Schuldenbremse hinaus als
für riskant halte.» 

«Was passiert denn», fragt Sigl-Glöckner, «wenn wir uns sehr viel
mehr verschulden, wo kommt man an den Punkt, wo es irgendwo eine
Ausfallrisiko geben könnte? (..) Dadurch, dass die deutsche
Staatsanleihe die Grundlage des Eurosystems ist, ist das sehr
schwer vorstellbar. Der Spielraum ist grösser, als was du und ich
für sinnvoll hielten. (..) Man wird den Verdacht nicht ganz los,
dass der Konflikt zwischen Investitionen und Sozialausgaben
aufgemacht wird, (..) wir könnten beides machen. (..) Von der
finanziellen Seite zu sagen, es ist ‘entweder oder‘, wir können
dieses Jahr nicht gleichzeitig Bahngleise und bei der Rente was
machen, das stimmt halt nicht.» - Dagegen hält Fricke: «Wenn du
der Politik die Möglichkeit gibst, Geld auszugeben, wird die
Politik immer an die Grenze dessen gehen, was sie kann. (..) Wenn
kein Rahmen gesetzt ist, wird es immer so sein, dass die
kurzfristigen Dinge hochgehen in den Ausgaben».

Stärkt ein Ausbleiben der dringend notwendigen gesellschaftlichen
Investitionen den Rechtspopulismus und untergräbt damit unseren
Rechtsstaat? Fricke: «Dem widerspreche ich ausdrücklich. (..) Das
Main-Ruhrgebiet hat eine Arbeitslosigkeit von 10,5%, Brandenburg
6,5% (..). Eigentlich müssten sie doch bei uns Rechts wählen, wo
die Rheinbrücken kaputt sind und die Arbeitslosigkeit höher ist».
Sigl-Glöckner hält dagegen: «Jetzt akut bin ich der Meinung, dass
ein Sparkurs absolut die radikale Rechte befeuert und zwar ganz
konkret auf der kommunalen Ebene, weil der Trade-off sehr direkt
ist. Wir haben hohe Flüchtlingskosten und dafür macht man dann
die Musikschule zu, macht man das Schwimmbad zu, macht man das
Museum zu. Und das befördert ganz stark rassistische und
rechtsradikale Motive.»

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