Brit Bennett: Die Mütter

Brit Bennett: Die Mütter

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Beschreibung

vor 1 Woche

Begibt man sich bei Google auf die Suche nach der Stadt Oceanside
in Kalifornien, unweit von San Diego, so fördert einem selbige
Suchmaschine in kürzester Zeit Bilder der Stadt zu Tage, die
einen träumen lassen. Mit dem größten Holzpier an der Westküste
und einer atemberaubende Küste selbst, sowie besten klimatischen
Bedingungen lässt sich leicht vorstellen, wie einfach man hier
eine gute Zeit verbringen könnte. Dabei ist Oceanside einerseits
die Stadt, in der die Autorin Brit Bennett geboren und
aufgewachsen ist und andererseits der Schauplatz, an dem sie die
Handlung ihres Debütromans Die Mütter ansiedelt. The mothers
erschien 2016 im Original und wurde zwei Jahre später auf Deutsch
im Rowohlt Verlag veröffentlicht.


Die Mütter, die nicht nur titelgebend für den Roman sind, sondern
auch thematisch einen wichtigen Schwerpunkt bilden, erscheinen
dabei in unterschiedlichsten Formen und bestimmen das Leben der
beiden Protagonistinnen Nadia und Aubrey vor allem durch ihre
Abwesenheit. Während Erstere ihre Mutter durch Suizid verlor,
wandte sich Letztere von ihrer Mutter aufgrund traumatischer
Ereignisse in ihrer Kindheit und Jugend ab. Beide Mädchen sind
Außenseiterinnen – die eine durch den Selbstmord ihrer Mutter
dazu geworden – und finden dadurch, aber auch aufgrund ihrer
unterschiedlichen Persönlichkeiten zueinander und werden
schließlich zu Freundinnen. Den dritten in diesem Bunde bildet
Luke, dessen Vater Pastor in der örtlichen Gemeinde ist und seine
Frau und damit Lukes Mutter die strenge und gut organisierte
Pastoren Gattin ist, welche größten Wert auf ihr Ansehen legt und
die genau weiß, was für ihren Sohn das Beste ist.


Nadia zählt dazu definitiv nicht, doch Luke ist ihre erste große
Liebe und mit 17, kurz nach dem Verlust ihrer Mutter, wird sie
ungewollt von ihm schwanger. Sie entscheidet sich gegen das Baby,
nicht wissend, dass es für Luke eine Option gewesen wäre, es zu
behalten und nicht ahnend, dass das Geld für die Abtreibung von
Lukes Eltern kommt, denen es nur Recht ist, dass Nadia sich um
„das Problem“ kümmert und der gute Ruf der Familie unbeschadet
bleibt, auch wenn sie damit gegen ihre Religion handeln. Der
Schwangerschaftsabbruch stellt auch das Ende der Beziehung der
beiden dar und verweist ebenfalls auf den Titel des Romans und
die Frage nach Mutterschaft. In diesem Fall nicht gewollt und
doch gedanklich immer in Nadias Hinterkopf, auch aufgrund der
Tatsache, dass ihre eigene Mutter im nahezu selben Alter mit ihr
schwanger gewesen ist und sich für sie entschieden hat.


Im Verlauf der Handlung werden schließlich Luke und Aubrey ein
Paar. Aubrey, die eher ruhig und zurückhaltend ist, ohnehin in
der Gemeinde arbeitet und von Lukes Mutter fast schon wie eine
Tochter behandelt wird, ist damit die perfekte Schwiegertochter.
Aubrey kennt jedoch die vollständige Vergangenheit, die Nadia und
Luke miteinander teilen, zunächst nicht. Diese wird ihr nach und
nach klar und bestimmt auch die Dynamik der drei und den Fortgang
der Geschichte.


Bereits aus der griechischen Tragödie kennen wir den Chor, der
als Bindeglied zwischen Publikum und Schauspielern diente,
kommentierte und eine moralische Instanz darstellte. Auch in Brit
Bennetts Roman finden wir eine Art Chor, es ist der Chor der
Mütter, der sich meist am Anfang der Kapitel zu Wort meldet und
zum Lesenden spricht. Sie berichten von ihrer eigenen
Vergangenheit, kommentieren die Geschehnisse und verweisen immer
wieder darauf, dass sie nicht alle Details der Umstände – also
des Skandals der Abtreibung – kannten, was sie jedoch nicht davon
abhält, nicht von ihrem moralischen Podest herunter zutreten und
zu bewerten. Trotz ihrer eigenen Geschichte benehmen sie sich
teilweise, man möge mir den Ausdruck verzeihen, wie alte
Klatschweiber; zumindest machten sie diesen Eindruck während der
Lektüre auf mich.


Brit Bennetts Roman glänzt durch seine thematische
Vielfältigkeit. Mit den Müttern bzw. deren Abwesenheit verknüpft
sie das Thema Identität und die Suche nach selbiger: „Und wenn es
möglich war, den Menschen nicht zu kennen, dessen Leib einem das
erste Zuhause gewesen war, wie konnte man dann überhaupt einen
Menschen kennen?“ Diese Suche nach sich selbst findet außerdem in
einem rein schwarzen Umfeld statt, zu dem die Autorin selbst auch
gehört. Das Thema Rassismus wird dabei eher subtil behandelt und
findet sich treffend auf den Punkt gebracht in beispielsweise
folgendem Zitat wieder: „Er ging mit der Tatsache, dass er Weißer
war, genauso um wie alle linksliberalen Weißen: Er nahm sie nur
zur Kenntnis, wenn er sich durch seine Hautfarbe benachteiligt
fühlte, und ignorierte sie ansonsten.“ Aber auch die Themen
Freundschaft, Liebe und Einsamkeit, sowie falsche Moral sind
stetige Begleiter im Roman und machen das gefühlsmäßige
Spannungsfeld in dem sich die drei Protagonist:innen bewegen
nachfühlbar und zu einem empfehlens- und lesenswerten Roman.


Nicht weniger empfehlenswert ist auch ihr zweiter Roman Die
verschwindende Hälfte, welcher 2020 erschien und der für mich
ebenfalls ein Pageturner war. In diesem widmet sie sich dem Thema
Identität und Herkunft auf eine neue, ungewöhnliche und nicht
weniger spannende Weise.


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