«Nach 200‘000 Toten im Jugoslawienkrieg: Hat die Intervention des Westens der Region den Frieden gebracht?»- mit Christian Schmidt und Armina Galijas
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vor 1 Monat
Frau Galijas, Sie forschen im Zentrum für Südost-Europa-Studien
der Universität Graz und sind im Krieg aus Bosnien geflohen,
haben Sie Ihre Heimat verloren? - «Wahrscheinlich ja, aber (..)
es ist nicht nur für mich, es ist für alle Menschen ein neues
Leben entstanden, auch für die, die in Bosnien geblieben sind.
Das war so eine grosse Zäsur. (..) Das Ethnische hat sich
wirklich durchgesetzt, (..weil ) man in den 90er Jahren begonnen
hat, alles ethnisch zu regeln. (..) Man hat irgendwie versucht,
es allen ethnischen Gruppen recht zu machen. Aber im Prinzip kann
ein Land so nicht funktionieren».
Dem Hohen Repräsentanten der UNO für Bosnien-Herzegowina,
Christian Schmidt wurden aufgrund des Vertrags von Dayton (1995)
sehr grosse Kompetenzen gegeben. Er kann direkt in die Politik
des Landes eingreifen und bestätigt, dass er dabei ohne
demokratische Legitimation entscheidet: «Es ist eine schizophrene
Situation. (..) Deswegen behandle ich die sogenannten ‘Bonn
Powers‘ (..) sehr, sehr zurückhaltend». Als Beispiel nennt er,
die Situation, als vor einem Jahr verfassungsmässig weder eine
Regierungsbildung noch Neuwahlen möglich waren, da «hatte ich
eine Regelung in die Verfassung hineingeschrieben (..) Und jetzt
gibt es eine Regierung dank meiner Intervention».
Glauben Sie, Herr Schmidt, dass die ethnische Organisation der
Gesellschaft, die in Dayton festgeschrieben worden ist, in
Zukunft überwunden werden kann? – «Ja und nein; (.. es hängt
davon ab, ob) wir es schaffen, diese Ethnifizierung zu
durchbrechen. (..) Ich glaube, dass junge Leute das nicht mehr
mitmachen wollen. Die Frage ist nur, wo ? (..,), zuhause oder
wenn sie» auswandern.» - Galijas bekräftigt: «Meine grösste Sorge
ist die Abwanderung. (..) Die Leute, die weggehen können, (..)
gehen, am meisten nach Österreich und Deutschland.»
Zementiert die internationale Präsenz die ethnokratischen
Strukturen? – Schmidt: «Ja und nein. Die Wähler haben (..) null
Vertrauen in das (..) Zustandekommen der Wahlen. (..) Ich setze
ja gerade da an, (..) das Wahlgesetz zu verbessern. Das ist uns
auch für die (..) Kommunalwahlen gelungen (..)». – Dazu Galijas:
«Das Problem ist eigentlich, was vor der Wahl in Bosnien
passiert. (..) Wählen gehen nur die, die sich etwas von der
Partei erwarten. (..) Für jeden Posten muss man eine bestimmte
Anzahl von Stimmen bringen. (..) Ein Schuldirektor muss dann 20
oder 100 Stimmen vorweisen. (..) Die richtigen Wahlen finden
nicht an der Urne statt, sondern (..) dort, wo man Reis oder Mehl
oder Oel verteilt, um die Stimmen zu bekommen.»
Dient die Perspektive eines EU-Beitritts als Mittel, die
notwendigen Reformen durchzusetzen? - Galijas: «Diese EU
Annhäherung ist von beiden Seiten weniger glaubhaft geworden. Die
Menschen glauben nicht mehr an die EU und die EU nicht mehr ganz
an Bosnien. Es hat einfach zu lange gedauert.» - Schmidt: «Die
Begründung, warum es jetzt eine gewisse Dynamik gibt, die es vor
vier-fünf Jahren noch gar nicht gegeben hat, liegt (im wachsenden
russischen Einfluss) (..) Jetzt ist das das Momentum, das man für
die Integration von Bosnien-Herzegowina nutzen will. (..) Die
Gesamtschau ist für mich so: Entweder, wir schaffen es
tatsächlich in den nächsten Jahren, Leuchttürme zu sehen, dass im
Westbalkan sich etwas tut, oder (..) dann passiert nichts
mehr.»
Galijas: «Ich würde für eine stufenweise Annäherung dieser Länder
an die EU plädieren, (..) kleine Päckchen geben und, wenn diese
dann durchgesetzt sind, auch belohnen.(..) Und ich denke, dass in
Bosnien zum Teil auch ein Problem die Präsenz der internationalen
Gemeinschaft ist, dass man denkt, die werden das für uns sowieso
machen.»
Sind sie zuversichtlich für die Zukunft ? - Schmidt: «Wenn in 11
Jahren, beim Gedenken an 40 Jahren (Völkermord in) Srebrenica und
40 Jahre Dayton der Hohe Repräsentant die Festrede hält, dann ist
was nicht gut gelaufen, weil bis dahin sollte eigentlich seine
Funktion nicht mehr nötig sein».
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