Barbara Kingsolver: Demon Copperhead

Barbara Kingsolver: Demon Copperhead

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Beschreibung

vor 1 Woche

Liebe Leserinnen und Leser,


Pulitzerpreisgekrönte Werke zu rezensieren ist heutzutage eine
dankbare Aufgabe: da haben schon die Fachleute draufgeschaut, die
beruflichen Rezensenten gewerkelt und eingeschätzt, die
Marketingmaschine der weltweit beteiligten Verlage läuft auf
Hochtouren - zumindest für eine gewisse Zeit vor und nach der
Preisverleihung - , und auch die lokalen Buchhandlungen schmücken
ihre Fensterauslagen und Buchtische.


Im letzten Jahr gewann diesen Preis im Bereich der Belletristik -
denn die Pulitzerpreise gibt es auch für Sachbücher, zuallererst
aber für herausragende journalistische Arbeiten - Barbara
Kingsolver mit dem heute hier vorgestellten "Demon Copperhead",
im Deutschen ebenfalls: "Demon Copperhead".


Warum dieses Werk seinen englischen Titel behalten durfte, ist
sicherlich zum einen der Fakt, dass es sich um den Rufnamen des
Protagonisten - mit bürgerlichem Namen Damon Fields - handelt,
zum anderen, dass sich Demon Copperhead die Inspiration des
Werkes, die Initialen und einen Teil des Nachnamens, nämlich
mit  Charles Dickens "David Copperfield" teilt.


Worum geht es: Damons Vater stirbt, bevor er auf die Welt kommt.
Seine Mutter, noch minderjährig, kämpft mit Drogenabhängigkeit.
Seine Verhältnisse sind ärmlich, und der Plot entfaltet sich in
den abgeschiedenen Bergen der Appalachen, einem Gebirgszug an der
Ostküste der USA.


Man muss kein Anhänger von Karl Marx sein, um die These "Das Sein
bestimmt das Bewusstsein." oder einfacher "die materielle
Grundlage prägt das gesellschaftliche Leben" nachvollziehen zu
können. Zunächst wird Demon von seiner Mutter und den älteren
Nachbarn, den Peggots, großgezogen. Währenddessen ist deren Enkel
Matt, der bei ihnen aufwächst, weil seine Mutter im Knast ist,
sein bester Freund. Bis hierher ist alles dufte soweit. Dann
lernt Damons Mutter einen neuen Typen kennen, der sie zurück zu
den Drogen bringt und auch nicht an ihrem "Anhang" interessiert
ist. Die Oxycontin-Krise ist groß und spielt im Buch als
gesellschaftliche Problematik eine große Rolle. Für Damon ist es
eine sehr persönliche Problematik, denn seine Mutter stirbt, und
er beginnt eine Odyssee durch verschiedene Pflegeeinrichtungen.
In einem Werk zeigte sich die Autorin besonders erschüttert
darüber, dass die Aufnahme und Pflege von Waisen oder elternlosen
Kindern in den USA ein Geschäft ist, bei dem Mindeststandards
zuverlässig verletzt werden und diejenigen, die mit ihrer
Einhaltung beschäftigt sind, so schlecht bezahlt werden, dass sie
diesen Job verlassen, wenn nur irgendwie möglich. Körperlicher
und seelischer Missbrauch, Zwangsarbeit und Ausbeutung sind
einige der Folgen.


In "Demon Copperhead" lässt Barbara Kingsolver den Protagonisten
von Anfang an zu Wort kommen. Dies zeigt zum einen, wie klein und
von wenigen Faktoren abhängig Kinder auf ihren Weg geschickt und
geprägt werden, zum anderen erkennen wir Zusammenhänge, weil sie
uns durch kindliche Augen geschildert werden, und die wir über
den Zynismus der Zustände längst verdrängt hatten.


Es ist eine harte Geschichte. Und während sich Charles Dickens in
"David Copperfied" ebenfalls mit heftigen Widrig- und
Gefährlichkeiten auseinandersetzt, ist Barbara Kingsolvers Werk
brutaler und direkter, weil es beschissene Verhältnisse sind, die
JETZT, gerade eben so stattfinden oder stattfinden können.


Das pralle Buch versammelt eine wachsende Zahl - ganz wie Kinder
ihren Kreis beständig erweitern - von Menschen, die Demon
feindlich gegenüberstehen, oft im besten Fall noch indifferent,
aber bis auf wenige Ausnahmen eben nicht voller Liebe und Güte,
wie es ein Kind braucht. Dabei sind die Ausnahmen rar, und umso
wichtiger. Das sind Damons Freunde und Bekanntschaften, die aber
ihrerseits mit Drogen und Armut zu kämpfen haben, aber es gibt
auch Lehrer, die Damon ermutigen, seine Talente zu pflegen und
ihm Achtung und Respekt entgegenbringen.


Er findet die Liebe und verliert sie wieder. Er flieht, um seine
Großmutter - die Mutter seines Vaters, den er nie kannte - zu
suchen, und die Geschichte dieser Flucht ist das
Herzzerreißendste, was ich seit langem gelesen habe.


Barbara Kingsolver hat nach Selbstauskunft mit der Grundlage von
Charles Dickens "David Copperfield" einen Weg gefunden, wie sie
über die verlorenen Kinder der Appalachen schreiben, und dabei
ein positives Ende, mit Fantasie und der Magie der Vorstellung
erzählen kann.


Ein Seitenstrang der Geschichte ist die Frage, warum die
Einwohner der Appalachen so oft verhöhnt und als Rednecks und
Hillbillies das kürzere Ende von Witzen sind. Es findet sich eine
sehr überraschende Erklärung, die hier nicht verraten wird. Sie
lässt allerdings noch einmal die Ostfriesenwitze, die Anfang der
1990er Jahre allgegenwärtig waren, in einem anderen Licht
erscheinen.


Das waren jetzt viele Punkte zum Hintergrund, aber worum es ja
geht, sind Lobpreisung oder Verriss. Während in dieser Rezension
die übergroßen Widrigkeiten im Vordergrund standen: das Erlebnis
der Lektüre ist ein anderes als vielleicht vermutet. Voller Güte,
Leidenschaft, Tempo, Fantasie und einem Augenmerk auf aufregenden
und überraschenden Wendungen, ist es ein fantastischer Roman,
Lobpreisung galore!


Die diesjährige Gewinnerin des Pulitzerpreises für Belletristik
ist Jayne Anne Phillips mit ihrem Roman "Night Watch", wir sind
gespannt.


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